Impuls vom 28.10.2013
Kirchweih
"Kirchweih" ist so etwas wie der "Geburtstag" einer Kirche: die Erinnerung an den Tag, an dem das Gebäude sozusagen als Gotteshaus "geboren", weil vom Bischof geweiht und in den Dienst des Heiligen gestellt wurde. Das ist bei unserer Kirche hier, der heutigen Stadtpfarr- und früheren Klosterkirche, in ihrer fast tausendjährigen Geschichte nach immer wieder neuen Auf- und Umbauten sogar mehrmals geschehen, so auch am 15. April 1730. Da war die große Barockisierungskampagne abgeschlossen und – wie oben in der Kartusche steht – die Kirche "aus bejahrtem Zustand gerettet", und die damalige Äbtissin Maria Caecilia Weiß wird – wie jeder Bauherr, wenn"s endlich vorbei ist – einen Seufzer der Erleichterung ausgestoßen haben, und sie hat hoffentlich zufrieden beten können, wie"s auch an der Decke steht: "Laudate dominum in sanctis eius – Lobt Gott in seinem Heiligtum".
Als 21 Jahre später diese bedeutende Äbtissin gestorben war, wurde ihr eine große Leichenpredigt gehalten, die sich bis heute erhalten hat. Das waren goldene Zeiten damals, da durfte eine Predigt noch eine Stunde oder länger dauern, und so hatte der Kollege die Zeit, unter vielem anderen auch das zu sagen:
"Bewundern solle ich die gantz weißlich, und klug=gefuehrte Oeconomi oder Hauß=Wirthschafft Mariae Caeciliae- Sie, Sie ist jene gewesen, welche nit nur allein den Schulden=Last ihres anvertrauten Closters ... voellig bey Heller und Pfennig hat abgethan, und bezahlt, sondern auch dich O herrlicher Tempel dem grossen Gott, und seiner Goettlichen Mutter, auch dem heiligen Martyrer und Bischoffen Zenoni zur Ehre, und Wohnung mit grossen Kosten recht magnific erbauet, mit vielen Altaeren, die Altaer mit Silber, Gold und raeristen Gemaehlen, die die Sacristey mit kostbaren Ornaten, Kelchen, Geschirren, und anderen Paramenteren versehen, und herausgeschmucket ... hat (...) Und gleich wie Sie in allen ihren Thun, und Lassen, in all ihrem Geschaefften, und Verrichtungen nichts anderes gesucht, als mit ihren heiligen Ertz=Vatter Benedicto die groessere Ehre Gottes. Ut in omnibus glorificetur Deus, (dass in allem Gott verherrlicht werde) und dises ihr eintziges Zihl und End gewesen ...".
Da wundert man sich weniger über die barocke Sprache als vielmehr darüber, wie der Herr Prediger da so einfach nebenbei sagen kann, das alles sei "mit grossen Kosten recht magnific erbauet". Man merkt: Das waren die Zeiten vor Limburg – und vor der scheinbar allgemein akzeptierten Ansicht, dass alles Katholische sowieso grundsätzlich heuchlerisch und darum ohne größere Hemmungen durchs mediale Dorf zu treiben ist.
Und der Vergleich passt ja auch gar nicht, denn hier ging"s es ja nicht um Wohn- und Konferenzräume und Repräsentationsarchitektur, sondern um "dich o herrlicher Tempel ... dem großen Gott ... recht magnific (großartig) erbauet". Und nichts anderes sei damit gesucht worden als "die groessere Ehre Gottes".
Das aber ist unserem Denken eher fremd geworden, oder? Bei uns muss alles nach einer klaren Kosten-Nutzen-Rechnung beurteilt werden, und schlimm – man sieht"s ja – wenn es nicht geschieht. Was aber ist dann mit all dem, das von seinem Wesen her nicht in dieses Schema passt? "Dass in allem Gott verherrlicht werde" - wo liegt da der praktische Nutzen? Was kann uns das noch wert sein? -
Aber merken wir dabei nicht, wie eindimensional, wie arm wir ohne diese Dimension werden, ohne Schönheit, ohne den Raum, der da ist "einfach so", einfach zur größeren Ehre Gottes?
In dem bemerkenswerten Roman "Nachtzug nach Lissabon" von Pascal Mercier wird die Rede eines Abiturienten zitiert, die mit folgenden Worten beginnt. (Wer das Buch kennt, weiß, dass das Ganze dann noch einmal in eine ganz andere Richtung geht, aber das muss uns hier nicht weiter beschäftigen.) Also:
"Ich möchte nicht in einer Welt ohne Kathedralen leben. Ich brauche ihre Schönheit und Erhabenheit. Ich brauche sie gegen die Gewöhnlichkeit der Welt. Ich will zu leuchtenden Kirchenfenstern hinaufsehen und mich blenden lassen von den unirdischen Farben. Ich brauche ihren Glanz. Ich brauche ihn gegen die schmutzige Einheitsfarbe der Uniformen. Ich will mich einhüllen lassen von der herben Kühle der Kirchen. Ich brauche ihr gebieterisches Schweigen. Ich brauche es gegen das geistlose Gebrüll des Kasernenhofs und das geistreiche Geschwätz der Mitläufer. Ich will den rauschenden Klang der Orgel hören, diese Überschwemmung von überirdischen Tönen. Ich brauche ihn gegen die schrille Lächerlichkeit der Marschmusik. Ich liebe betende Menschen. Ich brauche ihren Anblick. Ich brauche ihn gegen das tückische Gift des Oberflächlichen und Gedankenlosen. Ich will die mächtigen Worte der Bibel lesen. Ich brauche die unwirkliche Kraft ihrer Poesie. Ich brauche sie gegen die Verwahrlosung der Sprache und die Diktatur der Parolen. Eine Welt ohne diese Dinge wäre eine Welt, in der ich nicht leben möchte."
So übertrieben pathetisch diese Zeilen sind, so wundervoll sind sie doch. Am liebsten würde ich sie an die Kirchentüren hängen – gleichsam als Einladung, diesen Raum, diesen "magnific erbauten Tempel" wertzuschätzen und wahrzunehmen in seiner Schönheit und Erhabenheit. Was für ein Geschenk, dass wir ihn haben! Denn ich möchte tatsächlich nicht leben ohne Glanz und Schönheit, ohne betende Menschen und rauschende Orgelklänge, ohne Bibel und Poesie, ohne Gegengifte gegen alles Oberflächliche und Gedankenlose und allzu Gewöhnliche, und darum eben auch nicht ohne den Ort, der uns geschenkt ist, "dass in allem Gott verherrlicht werde"!
(Das Zitat aus: Pascal Mercier, Nachtzug nach Lissabon, Taschenbuch-Sonderausgabe 2008, btb, S. 275f.)