Impuls vom 18.04.2014

Mit ausgebreiteten Armen ...

"Der, von dem ich erzählen will,
wurde geboren in Armut und starb,
noch jung, mit ausgebreiteten Armen
am Kreuz einen schrecklichen Tod."

So beginnt einer der einprägsamen Texte von Lothar Zenetti. Er benennt sehr genau, was wir am Karfreitag in der Kirche zu tun haben: von dem erzählen, der "mit ausgebreiteten Armen am Kreuz einen schrecklichen Tod" gestorben ist. Man hat ihm die Arme gewaltsam ausgebreitet, bei dieser schrecklichen Hinrichtungsmethode der Römer, die man sich nicht grausam genug vorstellen kann: unsäglich schmerzvoll, unendlich demütigend, mit einem oft Tage dauernden Todeskampf. Wie können Menschen auf so etwas kommen? Aber ach: Wir wissen ja, auf wie viel Entsetzliches sie schon gekommen sind. "Die Weltgeschichte ist eine Blutspur." (Herbert Rosendorfer)

Aber die "ausgebreiteten Arme", so will mir scheinen, – sie benennen nicht nur die Methode der Exekution, sondern auch ihren Grund: Jesus wurde hingerichtet, weil er die Arme ausgebreitet hat.

"Der, von dem ich erzählen will
wurde geboren in Armut und starb,
noch jung, mit ausgebreiteten Armen
am Kreuz einen schrecklichen Tod.

Warum, worin bestand seine Schuld?
Oder anders gefragt: wem war er im Weg?
Er raubte kein Geld, kein Land, stürzte
keinen vom Thron, zog nicht in den
Krieg, schrieb nicht einmal Bücher.

Der Ort, wo er aufwuchs wie andere auch,
war ohne Bedeutung: ein Nest in den Bergen
am Rande des riesigen römischen Reiches.
Er lernte ein Handwerk, zimmerte Möbel,
bis er die Werkstatt verließ und sein Dorf
und umherzog im Land, das Wort auszusäen.

Er sah, wie man weiß, weder Rom noch Athen.
Aber er sah seinen Vater im Himmel und
sah auf der Erde die Menschen im Dunkel
und lehrte sie sehn mit anderen Augen.
Er heilte die Kranken, rief Tote ins Leben.
So zog er umher und warb um die Herzen
und sprach von der Liebe, dem
Königreich Gottes.

Er starb, wie er lebte,
und lebte, wie er starb:
mit ausgebreiteten Armen."

Die ausgebreiteten Arme – sie treffen tatsächlich die Mitte seiner Person. So ist Jesus den Menschen begegnet. Allen Menschen – auch denen, die damals nicht so viel galten: den Kindern, den Frauen, den Kranken. Auch denen, die man nur als Gesindel ansehen konnte, den Volksverrätern unter den Zöllnern, den Prostituierten, auch den Aussätzigen, den Ausländern. Wie oft hat man ihn aufgefordert, das bleiben zu lassen, es zumindest nicht im Namen Gottes zu tun. Und wie oft hat er um die Herzen seiner Gegner geworben, hat er seine Geschichten erzählt: vom Vater etwa, der dem verlorenen Sohn entgegen rennt und ihn – trotz, allem, was gewesen ist, und gerade deswegen – in die Arme schließt. Wer etwas von der Liebe weiß, versteht das gut. Wir verstehen es ja auch, aber zu oft sortieren wir aus: Liebe: gern, aber nicht für jeden. Jesus wollte nicht aussortieren, weil Gott nicht aussortiert, weil Gott allen nahe sein will.

Es wäre sehr einfach, daraus für uns einige Schlussfolgerungen zu ziehen, ein paar mahnende Worte über unsere Nähe und Ferne zu den Menschen und unser Sortieren, wie das die Prediger halt gerne machen. Aber ganz ehrlich: Nichts wäre heute unpassender. Der Karfreitag ist nicht der Tag der Moral, sondern der Liebe. Der Liebe Gottes zu uns. Seiner Liebe zu Ihnen und zu mir.
Das ist natürlich eine sehr schlichte Aussage. Aber wir sind ja in der Todesstunde Christi nicht versammelt, um neunmalklug über diese letzten Geheimnisse das Daseins zu reflektieren. Wir sind hier, um zu erzählen von diesem Jesus und von dem, was er für uns getan hat. Und um darauf unsere Antwort zu geben, indem wir sein Kreuz symbolisch in unsere Mitte tragen und hintreten vor ihn und unsere Knie beugen vor ihm.
Und sollte mir da nicht aufgehen: Der da, den wir den Herrn nennen, der will mich nicht anpredigen. Der will mich nicht ein enges Korsett zwängen und klein halten. Er will mich lieben. Mich mit meinen Freuden und Leiden, mit meinen Ängsten und meiner Schuld, mit meiner Engherzigkeit und meinem Kleinglauben. In meinem Leben und in meinen Sterben. Mit allem, was ich bin, schließt er mich in seine Arme.

Das berühmte Kreuz aus der Neumünsterkirche in Würzburg zeigt ihn genau so: Als den, der uns vom Kreuz herab buchstäblich umarmt. Und ich denke mir: Wenn wir einmal fast gar nichts mehr wissen sollten vom Christentum- wenn uns selbst einmal alles wegbrechen sollte, denn wer kann in Zeiten der Not und Dunkelheit für sich schon die Hand ins Feuer legen –, und wenn dann nur das bleiben würde: Es wäre genug. Und es würde auch weiterhin erzählt von dem, der starb, wie er lebte, und lebte wie er starb: mit ausgebreiteten Armen.