Impuls vom 13.10.2014

Altar und Kirche

Predigt des Passauer Bischofs Stefan Oster bei der Altarweihe in der St. Anna - Basilika in Altötting am 12. Oktober 2014


Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
wenn Sie in eine Kirche hinein- und auf den Altar zugehen, was für Gedanken, Bilder, Empfindungen kommen Ihnen da? Was ist ein Altar eigentlich? Und warum empfinden wir eine Kirche als leer, in der kein Altar steht?

Vielleicht hilft uns der folgende Deutungsversuch: Die Kirche selbst ist der einladende Raum, der Raum, in den wir eintreten, um in gewisser Weise in eine andere Welt zu kommen. Oder wenigstens in eine Welt, die zwar mit unserer Alltagswelt verbunden ist, aber trotzdem eröffnet sich hier mitten in der alltäglichen Umgebung noch ein anderer Raum. Ein Raum, der äußerlich edel gestaltet ist, wie diese große und prächtige, frisch renovierte St. Anna-Basilika, ein Raum, der in der Lage ist, bestimmte Stimmungen zu wecken oder anzuregen. Er ist in der Lage, in größere Ruhe zu führen, er ist in der Lage, Festlichkeit und Feierlichkeit mit zu erzeugen, er ist auch in der Lage, im wörtlichen und im übertragenen Sinn Raum zu geben für die Trauer oder andere Not, die wir leiden. Wenn wir in die Kirche gehen mit unseren Gedanken, Stimmungen, Gefühlen, zu bestimmten Anlässen, dann betreten wir einen schönen, in diesem Fall sogar erhabenen Raum, der über die Alltagswelt hinausreicht. Aber es ist nicht so, dass in diesem Raum dann unsere alltäglichen Gefühle und Gedanken draußen bleiben müssten. Es ist eher so, dass wir sie hierher mitbringen dürfen, und wir dürfen sie hier dann in eine andere Weite und Tiefe stellen. Und wir dürfen sie eben auch hier stehen lassen oder sie verwandeln lassen. Hier drinnen bekommt unser Innenleben eine andere Perspektive, eine größere, weitere, tiefere, freiere. Vor allem als gläubige Menschen gehen wir gerne auch einmal in Stille in eine Kirche – und wenn es uns dann gelingt, uns von dem Raum wirklich einnehmen zu lassen, und den inneren Blick auf den hin zu richten, zu dessen Verherrlichung diese Kirche gebaut ist, dann gehen wir anders wieder fort! Weniger alltäglich vielleicht, sondern hin orientiert auf ein Weiteres und Größeres, hin orientiert auf unseren Herrn und Gott.

Und noch schöner ist es, wenn wir als geistliche Menschen allmählich ein inneres Gespür dafür bekommen, dass so ein Raum auch von Gebet durchatmet ist, wenn er eine Atmosphäre in sich trägt, die mehr ist als nur äußere Ästhetik, wenn Menschen spüren, in dieser Anna-Kirche wird schon über 100 Jahre gebetet, wird im Gebet gejubelt, gedankt, gelitten, geschwiegen. Der Raum selbst atmet diesen Geist des Gebetes. Und wenn wir selbst betende Menschen sind, dann kommen wir auch leichter innerlich selbst hinein in diese Atmosphäre.

Und nun steht in einer solchen Kirche, die atmosphärisch erfüllt ist, eben auch ein Altar. Fest, schwer, im Boden verankert, eine Art Mitte, auf die sich die Gemeinde hin orientiert. Hier in der St. Anna-Kirche hat unser Künstler Friedrich Koller auch die von den Franziskanern und Kapuzinern so geliebte Tau-Form des Kreuzes eindrucksvoll in die Gestaltung einfließen lassen. Der Altar ist damit auch in dieser Kirche ein Stein gewordenes Bild dafür, dass das Atmosphärische einer Kirche nicht einfach nur luftig und eben auch vergänglich ist, er ist ein Bild dafür, dass Gott da ist und da bleibt. Der Altar zeigt uns, dass Gott verlässlich ist. "Das Kreuz steht, während die Welt sich dreht", sagen die Kartäuser. Liebe Schwestern und Brüder, es gibt in der Hl. Schrift so viele Bilder für die Treue, die Festigkeit, die Verlässlichkeit Gottes. In den Psalmen vor allem, da betet Israel von Gott als seiner Burg, von Gott als Berg, der nicht wankt, von Gott als Felsen, als Schild, als sicheres Heil, als feste Zuflucht. Gott ist da, er bleibt da. Und die Bilder sagen auch, dass Gott hier Ruhe schenken will und Sicherheit und Freiheit. Bei ihm ist meine Zuflucht, hier kann ich ruhen in Sicherheit. Wie oft wird das von Israel betont, ja beschworen. Und die christliche Erfahrung vertieft das: Egal, wie unsicher die Zeiten sind, egal wie die Stürme toben oder wie groß die Not ist: Christus ist da, er ist der Fels, auf den wir bauen. Er ist der Altar selbst, sagt der Hebräerbrief, die verlässliche Mitte. Der Orientierungspunkt schlechthin.

Liebe Schwestern und Brüder, die wir für den Glauben in so unruhigen Zeiten leben: Wissen Sie, dass es im Glauben möglich ist, wirklich einen Ruhepunkt zu finden? Wissen Sie, dass der Herr uns immer neu einlädt, bei ihm wirklich auszuruhen? Oder dass uns der Hebräerbrief einlädt, zu ihm, in das "Land der Ruhe" zu kommen? Oder haben Sie im Antwortpsalm der heutigen Messe die Einladung gehört: "Er lässt mich lagern auf grünen Auen, er führt mich zum Ruheplatz am Wasser." Liebe Schwestern und Brüder, Gott will uns die Ruhe nicht erst dann schenken, wenn wir uns im äußeren Leben endlich gut fühlen und alles prima läuft oder wenn wir von uns aus alles getan haben und meinen, jetzt hätten wir es verdient. Nein, die Kirche singt in einem berühmten Hymnus: "In der Mühsal schenkst du Ruh, hauchst in der Hitze Kühlung zu, schenkst Trost in Leid und Not." Mitten in all der Mühsal, mitten in all der Not, mitten in allem Leid, meine Lieben, ist er der Zugang zur Ruhe, ist er Sicherheit, nicht erst daneben oder danach. Mitten darin dürfen wir uns auf die Zusage verlassen: "Was auch kommt, ich liebe Dich und werde nicht aufhören, Dich zu lieben."

Und der Herr sagt uns auch: "Es ist nicht zuerst Dein Bemühen, das Dich in meinen Augen liebenswert macht. Nein, es ist meine Liebe, von der Du Dich berühren lassen darfst, die das Liebenswerte an Dir erst hervorliebt und sichtbar macht." Liebe Schwestern und Brüder, hier in der Kirche, hier ist Jesus gegenwärtig und er bleibt da. Und Sie können immer und immer wieder hierher kommen und ihm Ihr Leben gleichsam auf den Altar hinlegen im Gebet, im Gottesdienst, in der Beichte, im stillen Verweilen – und nach und nach wird er Ihr Inneres verwandeln.

Aber, liebe Schwestern und Brüder, wenn Er wirklich der unendlich Liebende ist, und wenn Liebe an uns das Schöne, das Liebenswerte erst hervorbringen, hervor lieben will, dann ahnen wir vielleicht auch, dass uns auch die Ehrfurcht gut ansteht, wenn wir uns dem Altar nähern. So unfassbar groß ist die Liebe des Herrn, dass sie immer neu hier auf diesem Altar gefeiert und vergegenwärtigt wird. Ja, er selbst verzehrt sich für uns, er ist die Vollendung aller Brandopfer, die das alte Israel je seinem Gott dargebracht hat. Der Herr verzehrt sich aus Liebe. Und damit stimmt auch das, was das Alte Testament von Gott oft gesagt hat: Er ist auch verzehrendes Feuer, eben unfassbare Majestät, die in Christi unvergleichlicher Erniedrigung bis in den Tod geliebt hat und weiterliebt. Ja, liebe Schwestern und Brüder, sich dem Altar zu nähern, darf uns auch die Demut lehren. Das Ja zur eigenen Hinfälligkeit und das Ja dazu, dass wir das Entscheidende in unserem Leben nur von Gott zu erwarten haben.

Und er lädt uns alle ein, wir dürfen alle kommen, wir haben dieses Gleichnis im Evangelium gehört. Aber am Umgang des Einladenden mit dem, der im Gleichnis ohne Hochzeitsgewand zum Fest kommt, wird uns auch gesagt: Es ist nicht egal, in welcher Haltung Du Dich näherst. Es ist nicht egal, ob Du stolz kommst und hartherzig oder eben in der gläubigen Demut dessen, der weiß, dass er das Erbarmen Gottes auch nötig hat. Gott liebt auch den Hartherzigen, ohne Frage, aber wenn dieser hartherzig bleibt, dann dringt das verwandelnde Feuer seiner Liebe nie wirklich bis zu ihm durch.

Liebe Schwestern und Brüder, wir segnen, wir weihen diesen Altar in einem großen, wundervollen Ritus. Gott ist in diesem Zeichen verlässlich da, der Stein ist das Zeichen für die Verlässlichkeit. Aber Gott ist niemals nur ein Gegenstand, er ist als Liebender da. Und von innen her gesehen ist diese Liebe Feuer, schöpferisches Feuer, Anbruch des neuen Lebens für uns. Die archaische Symbolik des Feuers bei der jetzt anstehenden Altarweihe erzählt davon und hilft uns in die eigene Ehrfurcht. Wir verbrennen Weihrauch auf diesem Altar und im Alten Testament betet Israel: Wie Weihrauch vom Altar, Herr, steige mein Gebet vor Dir auf! Der Wohlgeruch des Weihrauchs, der die Atmosphäre in dieser Kirche anreichert, lässt unser Gebet, sofern es ehrlich und innig ist, zum Herrn emporsteigen. Er liebt uns, er hört es.

Wir salben auch den Altar mit Chrisam, weil Christus selbst der Gesalbte ist. Der Altar ist Symbol für Christus und für sein Opfer, das Opfer der Hingabe hat den Geist frei gesetzt und verschenkt. Der Geist, der jetzt uns allen zu eigen ist, die auch wir in Taufe und Firmung gesalbt wurden. Und auch wir setzten den Geist nur frei im Maß unserer Liebe, die wir vom Altar her empfangen. Liebe Schwestern und Brüder, was wären unsere Kirchen also ohne den Altar?!

Einen letzten Gedanken möchte ich deshalb noch mit Ihnen teilen. Wir haben in der ersten Lesung aus dem Jesaja-Buch die berühmte Stelle gehört, wo der Prophet von einem Festmahl spricht, einem Mahl mit den erlesensten Speisen und den allerbesten Weinen. Es ist ein Festmahl der messianischen Zeit, ein Festmahl, wenn die Menschen wirklich Christus erkannt und von ihm endgültig gerettet worden sind, wenn die Hülle, der Schleier von ihren Gesichtern genommen worden ist. Dann ist Fest, überfließende Fülle. Dann sind Gott und Mensch in einer Freundschaft versöhnt, die gewissermaßen der Himmel auf Erden ist.

Liebe Schwestern und Brüder, die Kirche hat nie gezögert, die Eucharistie, die wir hier auf diesem Altar feiern, als ein Vorausbild dieses messianischen Hochzeitsmahles zu feiern. Eine Hochzeit, bei der Gott und seine Schöpfung endgültig versöhnt sind füreinander und miteinander. Und es ist mehr noch als nur ein Vorausbild. Es ist vielmehr der reale Anbruch dieser Versöhnung und Erlösung. Christus hat schon alles getan, er hat die Welt schon erlöst und versöhnt, wir gehören schon zu ihm, wir dürfen das heute und hier auf dem Altar feiern, wenn wir uns mit ihm versöhnen.

Und ja, es ist noch nicht vollständig sichtbar und erfahrbar, auch uns wird einst der Schleier weggezogen, auch wir werden dann in aller Fülle und im überfließenden Reichtum sehen dürfen, was wir und wem wir geglaubt haben, auch wir werden Fest haben ohne Ende, aber eben auch Frieden, lebendige Ruhe, tiefste Sicherheit, alles das werden wir in Fülle erfahren und genießen dürfen. Und jetzt und heute und hier sagt uns unser Glaube: Jetzt und heute und hier hat das alles schon begonnen. Wir sind schon dahin unterwegs. Wir haben schon Anteil am Himmel. Wenn wir gleich einstimmen in das Heilig, Heilig, Heilig, dann stimmen wir ein in die große Liturgie des Himmels, in den großen Lobpreis der Schöpfung, die gar nicht anders kann, als sich an ihrem Schöpfer zu freuen und ihm zuzujubeln.

Wir haben, Schwestern und Brüder, allen Grund zum Jubeln, wir gehören zu Ihm, unserem Altar, unserem Opferlamm, zu IHM, unseren Herrn und König. Er allein ist unser Friede. Amen.



Quelle: kath.net