Impuls vom 31.10.2014

Allerheiligen - Allerseelen

Lebendig gegenwärtig ist in unseren Herzen die Atmosphäre der Gemeinschaft der Heiligen und des Gedenkens an die verstorbenen Gläubigen, die uns die Liturgie in den Gottesdiensten der vergangenen Tage hat intensiv erleben lassen. Besonders der Besuch auf den Friedhöfen hat uns erlaubt, das Band mit den lieben Personen, die von uns gegangen sind, zu erneuern- der Tod bewahrt paradoxerweise das, was das Leben nicht halten kann. Wie unsere Verstorbenen gelebt haben, was sie geliebt, gefürchtet und gehofft haben, was sie zurückgewiesen haben, entdecken wir in der Tat in einzigartiger Weise gerade an den Gräbern, die gleichsam wie ein Spiegel ihres Lebens, ihrer Welt geblieben sind: sie sprechen zu uns und führen uns dazu, den Dialog wieder anzuknüpfen, den der Tod in eine Krise geführt hat. So bilden die Begräbnisorte eine Art Versammlung, in der die Lebenden ihren verstorbenen Angehörigen und Freunden begegnen und mit ihnen die Bande einer Gemeinschaft stärken, die der Tod nicht hat unterbrechen können.

Und hier in Rom, auf den besonderen Friedhöfen der Katakomben nehmen wir wie sonst an keinem anderen Ort die tiefen Bande mit der frühen Christenheit wahr, die wir so nahe spüren. Wenn wir die Gänge der römischen Katakomben betreten – und auch die Friedhöfe unserer Städte und Länder –, dann ist es, als würden wir eine unsichtbare Schwelle überschreiten und in Kommunikation mit denjenigen treten, die dort ihre Vergangenheit bewahren, die zusammengesetzt ist aus Freuden und Schmerzen, Niederlagen und Hoffnungen. Das geschieht, weil der Tod den Menschen von heute genauso trifft wie den Menschen von damals- und auch wenn uns viele Dinge vergangener Zeiten fremd geworden sind, ist der Tod derselbe geblieben.

Angesichts dieser Realität sucht der Mensch aller Epochen einen Lichtschimmer, der ihn hoffen läßt, der noch vom Leben spricht, und auch der Besuch an den Gräbern bringt diesen Wunsch zum Ausdruck. Aber wie antworten wir Christen auf die Frage des Todes? Wir antworten mit dem Glauben an Gott, mit einem Blick der festen Hoffnung, die auf den Tod und die Auferstehung Jesu Christi gegründet ist. Dann ist der Tod auf das Leben hin offen, auf das ewige Leben, das nicht eine unendliche Kopie der gegenwärtigen Zeit ist, sondern etwas vollkommen anderes.

Der Glaube sagt uns, daß die wahre Unsterblichkeit, die wir erhoffen, nicht eine Idee, eine Vorstellung ist, sondern eine Beziehung der vollkommenen Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott: es ist das Bleiben in seinen Händen, in seiner Liebe, es ist das in ihm Einswerden mit allen Brüdern und Schwestern, die er geschaffen und erlöst hat, mit der ganzen Schöpfung. Unsere Hoffnung ist gegründet auf die Liebe Gottes, die im Kreuz Christi erstrahlt und im Herzen die Worte des guten Schächers erklingen läßt: »Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein« (Lk 23,43). Das ist das Leben, das zu seiner Fülle gelangt ist: es ist das Leben in Gott- ein Leben, das wir jetzt nur erahnen können, wie man den klaren Himmel durch den Nebel erahnt.

(Benedikt XVI. am 3. November 2012)