Impuls vom 17.11.2016

Schicksal der Kirchen

Alfred Delp (1907 - 1945), Das Schicksal der Kirchen

"Das Schicksal der Kirchen wird in der kommenden Zeit nicht von dem ab­hängen, was ihre Prälaten und führenden Instanzen an Klugheit, Gescheit­heit, "politischen Fähigkeiten" usw. aufbringen. Auch nicht von den "Positio­nen", die sich Menschen aus ihrer Mitte erringen konnten. Das alles ist überholt. (…)
Von zwei Sachverhalten wird es abhängen, ob die Kirche noch einmal einen Weg zu diesen Menschen finden wird. Das eine gleich vorweg: dies ist so selbstverständlich, dass ich es gar nicht weiter aufzähle. Wenn die Kirchen der Menschheit noch einmal das Bild einer zankenden Christenheit zumuten, sind sie abgeschrieben. (…)
Der eine Sachverhalt meint die Rückkehr der Kirchen in die "Diakonie": in den Dienst der Menschheit. Und zwar in einen Dienst, den die Not der Menschheit bestimmt, nicht unser Geschmack oder das Consuetudinarium einer noch so bewährten kirchlichen Gemeinschaft. "Der Menschensohn ist nicht gekommen, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen." Man muss nur die verschiedenen Realitäten kirchlicher Existenz einmal unter dieses Gesetz rufen und an dieser Aussage messen, und man weiß eigentlich ge­nug. Es wird kein Mensch an die Botschaft vom Heil und vom Heiland glauben, solange wir uns nicht blutig geschunden haben im Dienste des physisch, psychisch, sozial, wirtschaftlich, sittlich oder sonstwie kranken Menschen. (…)
Rückkehr in die "Diakonie" habe ich gesagt. Damit meine ich das Sich-Ge­sellen zum Menschen in allen seinen Situationen mit der Absicht, sie ihm meistern zu helfen, ohne anschließend irgendwo eine Spalte und Sparte auszufüllen. Damit meine ich das Nachgehen und Nachwandern auch in die äußersten Verlorenheiten und Verstiegenheiten des Menschen, um bei ihm zu sein genau und gerade dann, wenn ihn Verlorenheit und Verstiegenheit umgeben. "Geht hinaus" hat der Meister gesagt, und nicht: "Setzt euch hin und wartet, ob einer kommt.""


aus: Alfred Delp, Mit gefesselten Händen. Aufzeichnungen aus dem Ge­fängnis, Freiburg 2007