Impuls vom 20.12.2016

Die Dunkelheit aushalten

Die Dunkelheit aushalten

Im Dezember werden die Nächte immer länger und die Tage immer kürzer. Die Dunkelheit wächst. Und wir sehnen uns nach Sonne, nach Licht. Natürlich ist es ein Gewinn, dass wir dank der Technik der Dunkelheit nicht hilflos ausgesetzt sind, dass Lampen unsere Häuser erhellen, dass wir uns halbwegs sicher durch die Dunkelheit bewegen können. Wer in diesen Tagen nachmittags durch die Fußgängerzone geht, wird von den vielen künstlichen Lichtern auf den Straßen und in den Schaufenstern fast geblendet. Die Werbung greift diese Sehnsucht nach Licht geschickt auf und überdeckt das Dunkel.
Die kirchliche Tradition des Advents greift ebenfalls die Sehnsucht des Menschen nach Licht auf, aber sie überdeckt das Dunkel nicht. Der Advent lässt das Dunkel bestehen und konfrontiert uns mit der Nacht.

Diese Konfrontation mit der Nacht ist gestern Abend auf ganz ungeahnte, auf ganz schreckliche Weise brutale Realität geworden - bei dem grauenhaften Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin. Ein schreckliches Szenario. Ein riesiger Laster rast in die Menschenmenge, in die kleinen Buden und die kleinen Stände. Menschen, die sich einfach am Licht des Weihnachtsmarktes erfreuen wollten, mit Freunden einen Glühwein trinken oder Reibekuchen essen, sind urplötzlich konfrontiert mit der Dunkelheit. Der Dunkelheit des Bösen, der Dunkelheit der Sinnlosigkeit.
Ich habe gestern Abend um 21.30 Uhr von dem furchtbaren Ereignis erfahren. Eine Stunde zuvor war ich erst aus Berlin von einer kurzen Dienstreise zurückgekehrt. Es war kein einfacher Termin dort. Ehrlich gesagt: Es war einer jener Termine, die einem ein bisschen auf der Seele liegen. Deshalb hatte ich einen lieben Menschen, meine Tante Maria - halb im Ernst, halb im Spaß - gebeten, an diesem Tag zur Vorsicht mal eine Kerze anzuzünden. Am späten Abend rufe ich sie an, um ihr zu sagen: Alles gut gelaufen. Alles paletti. Sie fragt mich: Bist du auch gut zurück aus Berlin? Nichts passiert? Und dann erzählt sie von dem schrecklichen Ereignis.

Ich lasse es mir nicht nehmen: Vom ersten bis zum vierten Advent wächst das Licht. Doch zugleich konfrontiert uns der Advent und sogar das Weihnachtsfest mit der Nacht. Schon das neugeborene Jesuskind kann nicht lange in der Geborgenheit der Krippe liegen bleiben, umgeben von Ochs und Esel. Schon trachtet ihm König Herodes nach dem Leben, so dass die frischgebackene Familie nach Ägypten fliehen muss.

Christen und Christinnen glauben: Wir sind erlöst durch Jesus Christus. Denn Christus ist der liebende Blick Gottes auf die Menschen, die Mensch gewordene Sehnsucht Gottes nach seinen Geschöpfen. Warum aber geschieht dann so viel Schreckliches auf der Welt? Ist Gott so ohnmächtig? Ich weiß es nicht.
Mir fällt ein altes Adventslied ein, ein Lied, das in der Zeit der Hexenverfolgung entstanden ist. Der Jesuit Friedrich von Spee hat es geschrieben. Er kämpfte mutig gegen den mörderischen Hexenwahn seiner Zeit. Und so spiegelt das alte Lied beides wider: die Verzweiflung angesichts des Bösen und gleichzeitig das tiefe Vertrauen auf Gott. Trotz allem. Es lautet:   
O Heiland, reiß die Himmel auf,
herab, herab vom Himmel lauf,
reiß ab vom Himmel Tor und Tür,
reiß ab, wo Schloss und Riegel für.
Und einige Strophen weiter heißt es:
Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt,
darauf sie all ihr Hoffnung stellt?
O komm, ach komm vom höchsten Saal,
komm, tröst uns hier im Jammertal.

Von Silvia Becker
Quelle: www.katholisch.de