Impuls vom 11.05.2017

Fürchte dich nicht, Maria

"Fürchte dich nicht, Maria!", sagt der Engel. Sie hatte wirklich allen Grund, sich zu fürchten, denn die Last der Welt auf den ei­genen Schultern zu tragen, die Mutter des Königs der Welt zu sein, die Mutter des Sohnes Gottes zu sein, welch eine Last be­deutet das! Eine Last, die alle menschlichen Kräfte überstieg! Aber der Engel sagt: "Fürchte dich nicht! Ja, du trägst Gott, aber Gott trägt dich. Fürchte dich nicht!"

Dieses Wort "Fürchte dich nicht!" ist sicher tief in Mariens Herz eingedrungen.
Wir können uns vorstellen, dass die heilige Jungfrau später manchmal an dieses Wort zurückgedacht hat, es von Neuem ge­hört hat. In dem Moment, als Simeon zu ihr sagt: "Dein Sohn wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird, dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen", in diesem Moment, in dem die Furcht sie hätte überwältigen können, denkt Maria an die Worte des Engels und hört im Innern leise widerhallen: "Fürchte dich nicht, Gott trägt dich!" Und als während seines öf­fentlichen Lebens der Streit um Jesu entbrennt und viele sagen "Er ist von Sinnen", denkt sie wieder: "Fürchte dich nicht" und setzt ihren Weg fort. Als sie ihm schließlich auf dem Kreuzweg begegnet und dann auf Golgota unter dem Kreuz steht, hört sie, als alles verloren scheint, in ihrem Herzen wieder die Worte des Engels: "Fürchte dich nicht!" Und so steht sie mutig neben dem sterbenden Sohn und geht vom Glauben gestützt auf die Auferstehung, auf Pfingsten, auf die Gründung der neuen Familie der Kirche zu.


"Fürchte dich nicht": Maria sagt diese Worte auch zu uns. Unse­re Welt ist eine Welt der Angst: Angst vor Elend und Armut, Angst vor Krankheiten und Leiden, Angst vor der Einsamkeit, Angst vor dem Tod. Wir haben in unserer Welt ein hochentwi­ckeltes Versicherungssystem, und es ist gut, dass es dies gibt. Aber wir wissen, dass uns im Augenblick schweren Leidens, im Augenblick der äußersten Todesverlassenheit keine Versiche­rung helfen kann. Die einzige Versicherung, die in dem Moment einen Wert hat, ist die, die vom Herrn kommt, der auch zu uns spricht: "Fürchte dich nicht, ich bin immer bei dir." Wir können fallen, aber am Ende fallen wir in Gottes Hände, und Gottes Hän­de sind gute Hände.


(Benedikt XVI.)