Impuls vom 22.07.2017

Hirtenwort zum "Domspatzenbericht"

Hirtenwort des Bischofs von Regensburg
zum "Domspatzenbericht"


Liebe Schwestern und Brüder
in Christus, dem Herrn!

1. Heute wende ich mich mit einem sehr
ernsten Thema an Sie, das viele in diesen
Tagen bewegt. Vor wenigen Tagen hat
Rechtsanwalt Ulrich Weber seinen "Abschlussbericht
zur Aufklärung der Vorfälle
von Gewaltausübung an Schutzbefohlenen
bei den Regensburger Domspatzen" der
Öffentlichkeit vorgestellt.
Damit endet die Arbeit des vom Bistum
beauftragten, aber unabhängig arbeitenden
Rechtsanwalts. Er sollte die Gewalttaten,
die Kindern und Jugendlichen bei den Domspatzen
in der Vergangenheit angetan wurden,
dokumentieren, die Strukturen und Zusammenhänge,
die diese Taten ermöglicht
oder gar noch gefördert haben, durchleuchten
und die Aufklärungsarbeit der Diözese
seit 2010 betrachten.
Den wichtigsten Beitrag zu dieser Arbeit haben
die Betroffenen geleistet. Ihnen gilt
mein aufrichtiger Dank, dass sie sich trotz
des erlittenen Leids an die Beauftragten
des Bistums und vor allem an Herrn Weber
gewandt haben.
Entstanden ist auf diese Weise ein sehr
umfassendes, reich differenziertes und vor
allem unabhängiges Werk. Ich bin Herrn
Rechtsanwalt Weber dankbar für die geleistete
Aufklärungsarbeit, so schwer die Erkenntnisse
für uns auch erst einmal zu
verdauen sind. Einige Opfer haben sich
bereits positiv geäußert: Der Bericht helfe
ihnen, mit diesem leidvollen Kapitel ihrer
Lebensgeschichte Frieden zu schließen.
Auch der Beauftragte der Bundesregierung
für sexuellen Kindesmissbrauch hat den
Abschlussbericht positiv gewürdigt.

2. Den größten Teil des Berichts nehmen
die Schilderungen der Betroffenen ein, die
zum überwiegenden Teil Opfer von körperlicher
Gewalt, zum Teil auch von sexuellen
Übergriffen geworden sind. Die Schilderungen
beziehen sich im Schwerpunkt auf
die 1960er und 70er Jahre, reichen aber in
einigen Fällen bis zum Jahr 1992. Wer
diese Schilderungen liest, kann nur Entsetzen
und Betroffenheit spüren:
- dass Buben – zum großen Anteil in der
Vorschule in Etterzhausen und Pielenhofen
– Körperverletzungen ausgesetzt
waren, die deutlich über das damals
allgemein hingenommene Maß einer
Ohrfeige hinausgehen,
- dass Kinder und Jugendliche in beiden
Einrichtungen Opfer von sexuellem
Missbrauch wurden,
- dass sich viele in einer dauernden
Angst vor drohenden willkürlichen Strafmaßnahmen
fühlten
- und viele bis heute unter den erlittenen
Demütigungen leiden.
All das macht mich zutiefst zerknirscht und
erfüllt mich mit Scham. Hier gilt, was mein
Vorgänger im Jahr 2010 in seinem Hirtenwort
formulierte: "Den Opfern dieser Zeit,
aber auch allen, die sich heute erst melden,
gilt unser tiefes Mitgefühl. Ihrer Ehre und
Würde schulden wir, dass ihnen Gerechtigkeit
widerfährt" (Hirtenwort von Bischof Gerhard
Ludwig Müller vom 21.03.2010, Amtsblatt
für die Diözese Regensburg Nr. 12
vom 15.12.2010, 132ff.).1
Es wiegt umso schwerer, als diese Kinder
in gutem Glauben Priestern und kirchlichen
Angestellten anvertraut wurden, die im Auftrag
Christi, des Guten Hirten, den Zehn
Geboten und dem Gebot der Nächstenliebe
verpflichtet waren.
Liebe Mitchristen, angesichts der obigen
Schilderungen kann ich nur in Demut um
Entschuldigung bitten. Als Bischof der
Kirche von Regensburg bitte ich anstelle
der Täter, von denen die meisten verstorben
sind, um Vergebung und bitte, dass
diese Entschuldigung von den Betroffenen
angenommen werde.

3. Zum Abschlussbericht gehört auch der
Blick auf die Strukturen und Zusammenhänge,
die diese Gewalttaten und diese Zustände
ermöglicht oder begünstigt haben.
Hier ergibt sich ein sehr differenziertes Bild.
Herr Weber nennt dabei unter anderem die
Abschottung der verschiedenen Einrichtungen,
Kommunikationsbarrieren nach innen
und außen und Versäumnisse der
kirchlichen und staatlichen Aufsichtsbehörden.
Nur die Berücksichtigung dieser Zusammenhänge
ermöglicht einen vollständigen
Blick auf die Ursachen.

4. Ein dritter Abschnitt des Abschlussberichts
befasst sich mit der Frage der diözesanen
Aufarbeitung seit dem Jahr 2010, als
sich viele Betroffene meldeten.
Mit Bekanntwerden der Gewaltvorfälle reagierte
mein Vorgänger "mit der Schaffung
entsprechender Strukturen für die Aufarbeitung.
Neben der Beauftragten für sexuellen
Missbrauch installierte er zudem eine neue
Position mit der Beauftragten für Körperverletzung"
(Weber, Abschlussbericht, 416).2
Den eingehenden Hinweisen wurde nachgegangen.
Die Personalakten wurden
durchsucht, Ergebnisse dokumentiert und
sich um Hilfe für die Opfer bemüht. Dieses
Vorgehen mit Blick auf die Einzelfälle
entsprach den Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz,
ebenso die Anerkennungszahlungen,
die ab 2011 erfolgten.
"Für die Vorgehensweise der Einzelfallprüfung
war dies sinnvoll, aus gesamtstrategischer
Sicht jedoch, wie sich zeigte, nicht
ausreichend" (Weber, Abschlussbericht,
416).
Bei den Gesprächen mit einzelnen Opfern
wurde mir schnell deutlich, dass ein gemeinsames
Vorgehen mit den Betroffenen,
ein Hinhören auf ihre Erwartungen und
Nöte ebenso wichtig ist wie ein unabhängiger
Blick auf die Strukturen und Zusammenhänge.
Mir war wichtig, dass auch die
Opfer von Körperverletzungen bei den
Domspatzen Anerkennungszahlungen erhalten.
Dies konnte zunächst nur pauschal
durchgeführt werden. Es wuchs die Einsicht,
dass das Bistum Hilfe von außen und
von unabhängiger Seite in Anspruch nehmen
müsse. Diese fanden wir auf Empfehlung
des Weißen Rings in Herrn Rechtsanwalt
Weber, dessen Abschlussbericht
nun vorliegt, und für den ihm an dieser Stelle
noch einmal gedankt sei.
Zur Aufarbeitung und zur Hilfe für die Betroffenen
sind nun weitere Anerkennungszahlungen
und Therapieangebote vorgesehen.
Zudem sind zwei weitere Studien, die
die geschichtlichen und soziologischen Zusammenhänge
genauer erhellen sollen, in
Auftrag gegeben.
Ich erneuere meine Bitte: Helfen Sie mit,
dass alle, die in anderen kirchlichen Einrichtungen
Opfer von Misshandlungen oder
sexueller Gewalt geworden sind und die
sich bislang nicht gemeldet haben, den Mut
aufbringen, sich uns anzuvertrauen. Wir
wollen, dass sie Anerkennung und Gerechtigkeit
erfahren, und ihnen geholfen wird.

5. Liebe Schwestern und Brüder! Den Kindern
und Jugendlichen, die uns heute anvertraut
sind, schulden wir eine noch größere
Sensibilität für diese Thematik. Vieles
ist dazu bei den Domspatzen und in den
Einrichtungen, Schulen, Internaten und Kindergärten
unserer Diözese schon erreicht
worden. Ich danke allen, die sich hier um
eine effiziente und zielgerichtete Vorbeugung
mühen.
Gleichzeitig bitte ich um Unterstützung für
weitere Initiativen, die die Kinder und Jugendlichen
stark machen, mögliche Täter
schneller identifizieren und Präventionsmaßnahmen
in allen Einrichtungen verstetigen
helfen.
Dabei kann uns auch die Hoffnung motivieren,
dass unser Vorgehen auch andere
Teile unserer Gesellschaft, die Familien,
Vereine, Schulen und Einrichtungen beeinflusst
und so dazu beiträgt, dass junge
Menschen ihre Persönlichkeit positiv entwickeln
können.
Unser Hauptmotiv liegt im Glauben an
Christus, der ein Kind in die Mitte gestellt
und die Jünger gemahnt hat: "Wer das
Reich Gottes nicht so annimmt wie ein
Kind, der wird nicht hineinkommen" (Mk
10,15).
Kinder und Jugendliche zu fördern, ihnen
den Glauben durch Wort und Beispiel vorzuleben,
aber auch von ihnen zu lernen –
das ist unser Auftrag für die Zukunft.
Dazu erbitte ich uns allen den Segen des
allmächtigen und barmherzigen Gottes:
des + Vaters und + des Sohnes und
des Heiligen + Geistes.
Regensburg am 16. Sonntag im Jahreskreis
im Jahr des Heils 2017
+ Rudolf
Bischof von Regensburg