Impuls vom 10.10.2017

Das Rosenkranzgebet

Das Rosenkranzgebet

Um es gleich vorwegzunehmen: Frömmigkeitsformen sind relativ. Sie sind frei. Nicht jede Gebetsform ist für jedermann. Das gilt auch für den Rosenkranz...
...wenn auch der Großteil seiner Worte der Heiligen Schrift entstammt. Ich muss dieses Wort von der Freiheit des Betens voraus-schicken, damit jemand, der mit dem Rosenkranz persönlich nicht viel anfangen kann, nicht glaubt, er sei ein schlechter Christ. Es hat Heilige gegeben, die vom Rosenkranz nichts gewusst haben...

Oberflächlich und mechanisch gebetet, kann er wie eine Leier wirken, so ähnlich wie eine tibetanische Gebetsmühle. Er könnte an eine Maschine erinnern, an ein Uhrwerk mit Zahnrädern, und so kann er unpersönlich und fad werden.
Wie ich ein Kind und ein junger Mensch war, habe ich den Rosenkranz nicht gemocht. Bei der Andacht war ich immer sehr gespannt, wer aus der Sakristei herauskommt, der "Frühmesser" oder der Pfarrer. Der "Frühmesser" war schon alt und hat schrecklich langsam vorgebetet, der Pfarrer war viel schneller und mir daher viel sympathischer, die Andacht war um zehn Minuten kürzer.

Ich weiß überhaupt nicht, ob der gemeinsame Rosenkranz die Form ist, in der man ihn entdecken kann. Entdecken kann man ihn eher in der Stille und im einsamen Gebet. Ich bekenne gerne, wo ich ihn entdeckt habe: In der Einzelhaft, im Gefängnis, in der völligen Ungewissheit und dem Ausgeliefertsein des Daseins, und später in den langen Polarnächten auf dem Posten im Schützengraben. Später auf den langen Wandernächten durch die Wälder und über die Almen der Heimat, auf einsamen Gipfeln mit dem ganzen Land und dem ganzen Leben unter mir – und auf einmal ist der Rosenkranz keine tote Leier. Man kann natürlich nicht immer konzentriert und andächtig sein, aber er ist wie eine beruhigende, sich wiederholende, bergende Melodie, er hat etwas von einem rauschenden Bach, der in der Schlucht drunten sein Lied singt. Es ist wirklich unmöglich, immer gesammelt zu bleiben. Wem das mühelos gelingt, der sollte sich für die Heiligsprechung anmelden...

Aber es geht darum, dass man mit dem Rosenkranz immer wieder hinein-kommt. Wenn man beim Bergsteigen mit einer Gruppe ein steiles Eis queren muss, baut man am besten ein Seilgeländer, das heißt, man spannt ein zusätzliches Seil über das Eis, macht es in Abständen an der Wand mit Eisschrauben fest – und dann können alle an diesem fixen Seilgeländer die Karabiner einhängen und gefahrlos die Stelle queren. Wenn einer rutscht, rutscht er nicht weit. Der Rosenkranz ist so wie ein Seilgeländer. Die Vaterunser sind die Eisschrauben, und wenn ich mit meinen Gedanken ausrutsche, kann ich wieder zurück...

Der Rosenkranz ist in gewisser Hinsicht schon ein mühsames Gebet. Wir sind heute ja unruhige, flatterhafte Seelen und das Bleiben beim Gebet ist gar nicht einfach. Aber der Rosenkranz ist so etwas wie das Mountainbike der Frömmigkeit: er gebietet geduldiges Treten, aber er bringt nach oben.
Er hat etwas von den Brandungswellen, die lebendig und rhythmisch am Meeresufer heranrauschen und auslaufen, am Sandstrand des Lebens, und jede Welle hat eine Schaumkrone. Beim Rosenkranz ist es eigentlich das Wort "Jesus" im "Gegrüßet seist du, Maria". Das ist die Schaumkrone. Auf sie steuert alles zu. In ihr erreicht die Woge des Gebetes ihren Höhepunkt.

Es ist ein bergendes Gebet. Ich habe es oft erlebt, in dem, was mich bewegt und beunruhigt hat. Diese kleine Schnur oder der kleine Zahnradring hat mir mehr Halt geboten als der schönste Bischofsstab. Er ist wie ein Lasso der Frömmigkeit, mit dem man vieles einfangen kann, was da wild, drohend oder belastend durch die Seele tobt. Diese 59 kleinen Holzperlen sind wie die Kugellager, auf denen das unruhige Herz sanft dem ewigen Erbarmen zurollt.
Ich hätte nicht gewagt, liebe Freunde, über den Rosenkranz je einmal zu predigen, wenn ich ihn nicht selbst - im Laufe vieler Jahrzehnte – entdeckt hätte. Er ist nicht einfach ein Schnörkel barocker Volksfrömmigkeit, er kann ein völlig zeitloses, modernes Gebet sein, ein bergendes und beruhigendes Gebet, nicht nur so ein huschender Gedanke – und man bewegt sich mit ihm zwischen Christus und dem Vater, zwischen dem Engel und Maria und es strömt in ihm das Leben und der Tod, das Vertrauen und die Gnade...ein leiser Motor im Hintergrund des Wirkens der Kirche...

(Reinhold Stecher)