Impuls vom 03.11.2019

Christlich geprägte Begräbniskultur

„Geheimnis des Glaubens: Im Tod ist das Leben“: Hirtenbrief von Ivo Muser, Bischof von Bozen-Brixen



„Ich glaube die Gemeinschaft der Heiligen, die Vergebung der Sünden, die Auferstehung der Toten und das ewige Leben“. Diese Worte aus dem Apostolischen Glaubensbekenntnis haben an den einprägsamen und wichtigen Tagen von Allerheiligen und Allerseelen einen ganz besonderen Klang.

Mit diesem Hirtenbrief spreche ich über ein Anliegen, das mir sehr wichtig ist und das unseren gemeinsamen Einsatz verdient: die christliche Begräbniskultur. Meine Überlegungen verstehe ich als eine Einladung zum Weiterdenken: persönlich, in kirchlichen Gruppen, in Pfarrgemeinderäten, auf der Ebene unserer Seelsorgeeinheiten und in den Dekanatskonferenzen. Wichtig ist auch das Gespräch mit den Bestattungsunternehmen.

Tote zu bestatten, ist ein Werk der Barmherzigkeit. Das kirchliche Begräbnis ist ein Dienst der Kirche an den Verstorbenen und an den Hinterbliebenen. Die Liturgie deutet den Tod als einen Übergang, als „dies natalis“, als den „Geburtstag zum ewigen Leben“. Menschliche Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen und das Vertrauen, dass unsere Verstorbenen in der Liebe Gottes geborgen sind, sind kein Widerspruch. Die Riten der Bestattung sind ein Trostereignis für alle, die mit den Angehörigen Abschied nehmen müssen.

Zur Kultur der Verabschiedung gehören das letzte Gespräch, der letzte Kuss, das Ankleiden der Toten, das liebevolle Berühren des Leichnams, das Verweilen beim Verstorbenen, das Schließen des Sarges, das Teilen der Trauer mit anderen, das Abschiednehmen am Sarg, der Anblick des offenen Grabes, das Einsenken des Sarges in die Erde. Für den Trauerprozess kann das Gestalten solcher Erfahrungen heilsam sein. Trauer braucht Raum, Schutz und Zeit.

Aus dieser Überzeugung ergeben sich wichtige Gesichtspunkte, die ich hier nur andeuten kann:

Friedhöfe sind uns Christinnen und Christen als öffentliche Bestattungs- bzw. Beisetzungsorte wichtig und heilig. Sie sind Orte der Erinnerung, der Trauer, der Versöhnung, des Gedenkens und des Gebetes. Die Gräber und die Beisetzungsorte für Urnen sollen deshalb immer die Namen der Toten tragen und mit einem christlichen Zeichen, zum Beispiel dem Kreuz, versehen werden. Die Pflege der Gräber, der Besuch des Friedhofs, das Entzünden der Kerzen, das persönliche und gemeinschaftliche Gebet für unsere Verstorbenen, die Feier des Jahrtags und die Feier der Heiligen Messe für unsere Verstorbenen sind Ausdruck eines gläubigen Umgangs mit dem Geheimnis des Todes und mit jenen Menschen, die die Seite des Lebens bereits gewechselt haben.

Die christliche Bestattungskultur lebt von der Überzeugung, dass Gott jeden Menschen „bei seinem Namen gerufen“ hat (Jes 43,1); diese Namen „stehen im Buch des Lebens“ (Phil 4,3). Der Name gehört zur Identität eines Menschen, mit ihm wird er gerufen, identifiziert und unterschieden von anderen. Er ist auch Ausdruck der Einzigartigkeit und der Einmaligkeit, mit der Gott jeden Menschen auszeichnet. Daher sind wir überzeugt, dass anonyme Bestattungen ohne Teilnahme der Angehörigen und ohne Teilnahmemöglichkeiten für Freunde und Bekannte nicht sinnvoll sind.

Die Begräbnisfeier im „engsten Familienkreis“ oder die Bestattung „in aller Stille“ vergisst, dass jeder Mensch in einem sozialen Umfeld von Menschen gelebt hat, die auch ein gewisses Recht haben, sich zu verabschieden. Diese Verabschiedung kann auch ein Akt der Versöhnung sein. Die kirchliche Begräbnisfeier hat Öffentlichkeitscharakter, verkündet die Hoffnung auf ewiges Leben und versteht das Gebet für die Verstorbenen als letzten Liebesdienst der christlichen Gemeinde.

Die vor dem Begräbnis stattfindende Aufbahrung und Totenwache sind ein wichtiger Teil einer christlich geprägten Begräbniskultur und verdienen gerade heute besondere Aufmerksamkeit. Sie ermöglichen eine würdige Verabschiedung und helfen, die Tage des Abschieds intensiver zu gestalten. Die Zeit zwischen dem Eintreten des Todes und dem Begräbnis schenkt die Möglichkeit für Erinnerungen, für Zeichen der Liebe und der Versöhnung, für das Gebet. Es sollten nicht der Eindruck und die Mentalität entstehen, dass der Leichnam einfach entsorgt wird. Der tote Körper hat seine Würde, weil er sehr unmittelbar und zeichenhaft für den verstorbenen Menschen steht. Die Versammlung zum gemeinsamen Gebet für die Verstorbenen hat eine religiöse, aber auch eine soziale Bedeutung.

Mit Wertschätzung und Dankbarkeit denke ich an alle, die sich in unseren Pfarrgemeinden um würdige Beerdigungsfeiern bemühen: Priester, Diakone, künftig auch die Leiterinnen und Leiter von Begräbnisfeiern, Lektorinnen und Lektoren, Vorbeterinnen und Vorbeter, Mesnerinnen und Mesner, Ministrantinnen und Ministranten, Chöre, Organistinnen und Organisten, Kantorinnen und Kantoren. Begräbnisfeiern sind ein wichtiger pastoraler und sozialer Dienst, der immer noch viele Menschen erreicht und mit der christlichen Auferstehungshoffnung in Verbindung bringt. Der Gottesdienst soll so gestaltet sein, dass zum Ausdruck kommt: Wir feiern nicht unsere Verstorbenen, sondern den Tod und die Auferstehung Christi - als Bitte für die Verstorbenen und als österliche Hoffnung für uns, die wir noch auf dem Weg sind zum großen Ziel. Zugleich kann auch der Dank zum Ausdruck gebracht werden für das, was Gott mit einem Menschen wirken konnte. Lieder, Texte und Zeichen sollen sorgfältig und behutsam ausgewählt werden und dem Geist der liturgischen Feier entsprechen.

Höhepunkt und Kernstück der Totenliturgie ist die Eucharistiefeier. In jeder Eucharistiefeier bekennen Christinnen und Christen: Im Tod ist das Leben! In dieser Feier des Glaubens weiß sich die christliche Gemeinde mit den Verstorbenen am Tisch des Herrn, dem Tisch des Wortes und des Brotes, vereint. Auch wenn in Zukunft nicht mehr bei jedem Begräbnis eine Heilige Messe gefeiert werden kann, sollte nach der Wort-Gottes-Feier am Begräbnistag in einer Eucharistiefeier – auch im Gemeindegottesdienst am Sonntag – für die Verstorbenen gebetet werden. Dabei sind wir überzeugt, dass wir immer für die Verstorbenen und auch mit den Verstorbenen beten. Die Bezeichnung „Auferstehungsgottesdienst“ ist für die Feier des Begräbnisses missverständlich und deswegen nicht geeignet.

Zur christlichen Beerdigung gehört auch das Einsenken des Sarges in die Erde. Dieser Ritus gibt der Feier der Beerdigung den Namen. Es ist sehr zu bedauern, dass bei uns dieser einprägsame und sprechende Ritus des Hinabsenkens des Sarges in das Grab meist nicht mehr praktiziert wird. Das Absenken gehört ausdrücklich zum letzten Weg mit einem verstorbenen Menschen dazu. Wir übergeben den Leichnam der Erde und gehen so den Weg bis zuletzt mit. Die endgültige Trennung, die dieser Akt deutlich macht, und der daraus entstehende Schmerz gehören auch zur Trauerbewältigung. Da es sich an vielen Friedhöfen anders eingebürgert hat, bitte ich ausdrücklich, darüber nachzudenken, wie diesem sprechenden Akt der Bestattung wieder eine Bedeutung zurückgegeben werden kann.

Von Anfang an entschied sich die Kirche nach biblischem Vorbild für die Erdbestattung. Neben der Ehrfurcht vor dem menschlichen Leib, der Tempel des Heiligen Geistes ist (1 Kor 3,16; 6,19), spielte das Vorbild der Grablegung Jesu und das Bild des Weizenkorns eine große Rolle: Der leblose Körper wird wie ein Weizenkorn in die Erde gelegt, wo er verwandelt und zu neuem Leben auferstehen soll. Die Erdbestattung drückt dies anschaulich aus. Deshalb bevorzugt und empfiehlt die katholische Kirche weiterhin die Erdbestattung. Die Feuerbestattung ist erlaubt, vorausgesetzt, dass jemand diese nicht aus Gründen wählt, die den Glauben an die Auferstehung und an das ewige Leben in Frage stellen.

Wo die Feuerbestattung gewünscht wird, wird in den Texten der Liturgie darauf Bezug genommen. Die Prozession zum Friedhof, ohne den Leichnam dort zu bestatten, ist nicht sinnvoll. Nach dem Gottesdienst und der Verabschiedung des Leichnams in oder vor der Kirche (Kapelle), wird er zur Feuerbestattung ins Krematorium gebracht. Die Urne wird dann im kleineren Kreis am vorgesehenen Ort beigesetzt. Das anonyme Verstreuen der Asche eines verstorbenen Menschen entspricht nicht der christlichen Begräbniskultur.

Der Umgang mit dem Tod und mit unseren Verstorbenen sagt sehr viel über unsere Einstellung zum Leben aus. Die christlich geprägte Begräbniskultur ist Ausdruck des christlichen Osterglaubens an unseren Gott, der ein Gott der Lebenden und nicht der Toten ist und der in seinem Sohn Jesus Christus gezeigt hat, dass der Tod nicht das letzte Wort hat.

Am Schluss noch eine Bitte: Lassen wir sterbende Menschen nicht allein! Sie brauchen die Nähe und die Begleitung. Aber auch die Angehörigen brauchen sie, die sich auf den Verlust eines Menschen einstellen müssen oder von einem Schicksalsschlag getroffen werden.

Ich bin euch allen herzlich verbunden in der großen Gemeinschaft der Heiligen und im österlichen Vertrauen auf Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen: „Denn er ist das Heil der Welt, das Leben der Menschen, die Auferstehung der Toten“ (Präfation der Messfeier für Verstorbene).