Impuls vom 31.12.2019

Gleichgültigkeit oder Liebe

„Jesus hat Geburtstag – und du bekommst das Geschenk!“ Hoffentlich war an Weihnachten ein schönes für Sie dabei. Für einen wie mich, der fast nur Bücher verschenkt, ist es nicht immer ganz einfach einzuschätzen, ob man wirklich Freude bereitet – mit diesem Büchlein hier zum Beispiel, das ich heuer ein paar Mal verpackt habe: Axel Hacke, „Die Tage, die ich mit Gott verbrachte“.
Dieser Gott ist ein alter Rentner, der plötzlich in München im Leben des Autors auftaucht, ein paar Zauberkunststücke vorführt und großen Gesprächsbedarf hat. So furchtbar viel hat er mit dem Gott, an den ich zu glauben hoffe, nicht zu tun. Aber in der Mitte des Buchs gibt es eine ebenso anrührende wie beklemmende Szene, die ich nicht mehr vergessen konnte.
Gott führt den Autor in das Zentrum der Welt. Da liegt ein seltsames Ding, das er „Das Große Egal“ nennt. Und Gott sagt – ich lese mal ein paar Zeilen vor:
„Der Kern der Welt ist die Gleichgültigkeit. Egal, was du tust, egal, was irgendjemand tut, egal, ob du lebst, egal, ob du stirbst, egal, ob die Meeresspiegel steigen und ganze Länder unter Wasser setzen, egal, ob die ganze Menschheit ausgelöscht wird – die Welt dreht sich weiter. Es gibt nichts, das dem Großen Egal nicht vollkommen wurscht wäre.“
Den Autor packt eine gewaltige Wut. „Warum schaffen Sie etwas, nur damit es dann egal ist!?“, rief ich.
Ich dachte an meinen Vater, tot über dem Lenkrad seines Autos zusammengesackt, ohne mit mir noch einmal reden zu können, ohne dass ich überhaupt je einmal richtig mit ihm hatte reden können.
„Eeeegaaal ...“
Ich dachte an meine Mutter, die viel zu jung war, als sie starb, an ihr letztes, vom Seelengrund gekommenes Aufstöhnen im Tod.
„Eeeegaaal ...“
Ich dachte an mein Glück, als meine Kinder geboren wurden und ich dieses Gefühl hatte, eins zu sein mit dem Leben und der Welt.
„Eeeegaaal ...“

Das Beklemmende dieser Szene liegt darin, dass man sich unwillkürlich fragt, ob es nicht tatsächlich so ist. Dass man mit Naturgesetzen nicht diskutieren kann und sich diese Erde auch ohne uns ganz gut weiterdrehen wird, haben wir in all den Debatten über den Klimawandel gelernt. Dass ich nur ein winziges Rädchen in der riesigen Maschinerie dieser Welt bin, auf das es definitiv nicht ankommt, weiß ich spätestens, seit ich so halbwegs erwachsen geworden bin. Selbst in unserer kleinen Welt, in unserer Arbeit und unseren Beziehungen können wir uns nicht immer sicher sein, welche Bedeutung uns wirklich zukommt. Ich ein Geschenk an diese Welt? Ist das nicht zum Lachen?
Und so beginnt unser gnadenloser Kampf darum, uns unsere Bedeutung selbst zuzusprechen, uns aufzublasen. Und wenn alles gleichgültig ist, ist dabei auch alles in gleicher Weise gültig. Da gibt es keine Wahrheit, da gibt es nur, was man daraus macht. Und selbst wer die größten Lügen erzählt, wird, wenn er es nur unverfroren genug macht, von den Leuten in höchste Ämter gewählt.
Ja, manchmal habe ich diese Angst: Dass diese Welt ein schreckliches Chaos ist und ihr letzter Kern tatsächlich nur Gleichgültigkeit.

Wie gut tut es da, die Stimme von Weihnachten zu hören!
„Im Anfang war das Wort“, hebt das Johannesevangelium an. „Logos“ steht da im Original, was im Griechischen eine ganz umfassende Bedeutung hat: Lehre, Verstand, Sinn. Wir haben im Deutschen davon das Fremdwort „logisch“. „Alles ist durch das Wort, durch diesen Logos geworden und ohne ihn wurde nichts, was geworden ist.“ Alles, was geworden ist durch Evolution und Geschichte, ist nicht einfach bloß zufällig und sinnlos, sondern hat ein Ziel. Alles – auch und vor allem der Mensch. Denn „das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“
Für Christen ist das der Kern der Welt: Wir kommen alle von Gott, er hat uns Würde und Bedeutung gegeben. Und mehr noch: Gott hat den Menschen so gewürdigt, dass er einer von uns geworden ist. Er steckt in unserer Haut, in unserem Fleisch und Blut. Darum können sich Christen von niemanden darin übertreffen lassen, groß vom Menschen zu denken – von jedem Menschen. Niemand ist egal.

Von daher frage ich mich, ob Weihnachten nicht einfach auch so etwas wie eine Entscheidung ist. Weihnachten fragt mich, wie ich diese Welt und die Menschen sehen möchte.
Man kann es sehen wie der Philosoph Emil Cioran, der sagt: Der Glaube, dass Gott Mensch geworden ist, „ist die gefährlichste Schmeichelei. Sie hat uns ein maßloses Statut verliehen, das in keinem Verhältnis zu dem steht, was wir sind. Indem es die menschliche Anekdote zur Würde des kosmischen Dramas erhebt, hat es uns über unsere Bedeutungslosigkeit hinweggetäuscht, hat es uns in die Illusion, in einen krankhaften Optimismus gestürzt...“
Man kann sich aber auch dafür entscheiden, diesen Optimismus und diese Würde des Menschen für ganz und gar nicht krankhaft zu halten. Denn Gott hat das anders gesagt, hat ein anderes Wort – sein Wort, seine Logik – in diese Welt gesandt.
Niemand hat das schöner ausgedrückt als Karl Rahner:
„Gott hat sein letztes, sein tiefstes, sein schönstes Wort im fleischgewordenen Wort in die Welt hineingesagt, ein Wort, das nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, weil es Gott selbst in der Welt ist. Und dieses Wort heißt: Ich liebe dich, du Welt und du Mensch. Ich bin da, ich bin bei dir. Ich bin deine Zeit. Ich weine deine Tränen. Ich bin deine Freude. Ich bin in deiner Angst, denn ich habe sie mitgelitten. Ich bin in deiner Not. Ich bin in deinem Tod, denn heute begann ich mit dir zu sterben, da ich geboren wurde. Ich gehe nicht mehr von dieser Welt weg, wenn ihr mich jetzt auch nicht seht. Und meine Liebe ist seitdem unbesieglich. Ich bin da. Es ist Weihnachten. Zündet die Kerzen an. Sie haben mehr recht als alle Finsternis. Es ist Weihnacht, die bleibt in Ewigkeit.“

Jesus hat Geburtstag – und das ist sein Geschenk!