Impuls vom 09.04.2020

Österliche Gedanken 2020

PREDIGT AM WEISSEN SONNTAG
(zu Joh 20,19-31)

Ein neues Kleidungsstück erobert unseren Alltag, das uns Anfang des Jahres noch völlig lächerlich vorgekommen wäre: die Schutzmaske vor Mund und Nase. Beim Einkaufen und im öffentlichen Nahverkehr wird sie mittlerweile dringend empfohlen und wahrscheinlich auch bald Pflicht. Auch in unseren Gottesdiensten, wenn sie denn bald wieder öffentlich gefeiert werden, wird man vielleicht ihre Verwendung anraten.
So seltsam wir mit dieser Maske ausschauen, so sinnvoll ist sie doch. In Pandemiezeiten wird jeder Mensch zu einer potentiellen Gefahr. Gerade eben sind – bei gewissen Lockerungen – die Kontakt- und Versammlungsverbote noch einmal erneuert worden. Immer noch gilt: Am besten ist es, zuhause zu bleiben. Es geht uns wie den Jüngern im Evangelium: Aus Angst müssen wir hinter verschlossenen Türen sitzen.
Aber hinter diesen Türen merken wir immer mehr, wie sehr uns die gewohnte Freiheit, der selbstverständliche Kontakt und die menschlichen Berührungen fehlen. Uns fehlt das lebendige „Atmen“ der anderen!
Doch einen Menschen direkt mit meinem Atem konfrontieren, ihn ungeschützt anhauchen: Das geht momentan gar nicht! Es ist unter Corona-Bedingungen unglaublich leichtsinnig, ja fast eine Straftat, was der Auferstandene in dieser Ostergeschichte macht: Er ignoriert alle Sperren und Abstandsregeln, platzt in die „Quarantäne“ der Jünger und haucht sie an.

Diese Zeichenhandlung erinnert natürlich an die Erschaffung des Menschen ganz am Anfang der Bibel: „Da bildete Gott, der HERR, den Menschen aus Staub vom Erdboden und hauchte in seine Nase Atem des Lebens; so wurde der Mensch eine lebendige Seele.“ (Gen 2,7 – Elberfelder Übersetzung) „Das hebräische Wort näfäsch, das zumeist mit Seele übersetzt wird, meint zunächst die Kehle bzw. den Rachen und von dort aus im übertragenen Sinne den Atem und die Lebenskraft des Menschen, die … dem Menschen in Form einer Beatmung von Gott gegeben ist“ (Lexikon EÜ).
Dieser Vergleich von „Atem“ mit „Lebenskraft“ ist unmittelbar einleuchtend – und ist es besonders dann, wenn man an Corona oder einer anderen Krankheit der Atemwege leidet. Was ist das darum für ein wunderbares Bild: „Mit dem Atem wird die göttliche Lebenskraft übertragen, und Jesus, den Gott mit seiner Lebenskraft aus dem Tod gerissen hat, gibt dieses Leben sofort an seine Jünger weiter.“ (Andrea Pichlmeier)

Sie haben dieses Leben auch dringend nötig. Gerade eben hat es im Evangelium noch geheißen: „Maria von Magdala kam zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen. Und sie berichtete, was er ihr gesagt hatte.“ (Joh 20,18) Doch der nächste Satz beginnt so: „Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden bei verschlossenen Türen beisammen waren …“ (Joh 20,19)
Da ist sie wieder: die Angst – trotz Ostern. Andrea Pichlmeier deutet sie (in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“ – Nr. 16/2020) als „eine Angst vor dem Leben überhaupt. Die Juden, das sind hier die anderen Menschen, … die Öffentlichkeit, die sie nun fürchten, da Jesus in ihr zu Tode gekommen ist. Diese Öffentlichkeit scheint den Jüngern gefährlich, denn sie waren mit Jesus zusammen, sind geradezu von ihm ‚infiziert‘. Sein Schicksal könnte auch das ihre werden. Die Angst verstellt ihnen den Blick und raubt ihnen den Atem.“

Wie dringend haben sie darum den „Atem“ nötig, von dem es beim Propheten Ezechiel heißt: „So spricht GOTT, der Herr: Geist, komm herbei von den vier Winden! Hauch diese Erschlagenen an, damit sie lebendig werden!“ (Ez 37,9) Der Auferstandene, der von Gott neu Geschaffene vermag das. Er tritt in die Verschlossenheit der Jünger und sagt als erstes: „Friede sei mit euch!“ (Joh 20,19) Das ist das alte hebräische „Schalom!“
„Dieses Wort enthält alles, was ihnen mit seinem Tod entglitten ist: an etwas glauben, sich riskieren, die Stimme erheben, Kontakt aufnehmen, lachen – überhaupt die Welt. Jesus tritt ein, und die Welt kehrt zurück. Der Auferstandene lässt es sich nicht nehmen zu tun, was Gott am Anfang der Schöpfung tut: Er haucht ihnen das Leben ein. Gott wahrt keine Distanz. Er dringt in verschlossene Räume und möglicherweise auch in Gräber ein.“ (Andrea Pichlmeier)

Der Auferstandene tritt ein, weil Gott keine Distanz wahrt – und die Welt kehrt zurück. Das ist doch ein wunderbares Bild für das, was wir in diesen Corona-Zeiten erhoffen: für alle Lebensbereiche, auch für unsere immer noch leeren Kirchen.
Ein Gedicht von Lothar Zenetti beginnt mit den Worten:
„Wir bauen Kirchen in unsere Welt,
das fällt uns leicht,
sie sollen bezeugen, dass Gott bei uns wohnt.
Doch selber zu zeigen, wie nahe Gott ist,
das fällt uns schwer,
so bauen wir Kirchen in unsere Welt,
manchmal zu groß.“

Momentan sind unsere Kirchen auf alle Fälle zu groß für uns; sie sind es die meiste Zeit. Gott sei Dank bezeugen sie trotzdem, dass Gott bei uns wohnt. Aber Gott sei vor allem für die Dank gesagt, die „selber zeigen, wie nahe Gott ist“, wie sehr uns sein „Atem“ belebt, wie sehr der Auferstandene alle „Distanz“ und Angst überwinden lässt!
Die Schutzmasken müssen wir momentan trotzdem tragen. Aber sie sollen uns nicht daran hindern, dem nahe zu sein, der uns ansteckenden will mit seiner lebensschaffenden Kraft!
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PREDIGT IN DER OSTERNACHT AM OSTERSONNTAG
(zu Joh 20,1-18)

„Frau, warum weinst du?“ Was für eine Frage! Wie sollte Maria Magdalena nicht weinen, da ihr das Liebste ihres Lebens genommen wurde!
Warum weinst DU? Vielleicht nicht zum Weinen, aber doch ziemlich traurig ist es, wie wir heuer Ostern feiern müssen und wie viele jetzt nicht da sein dürfen, denen die Osternacht doch eigentlich wichtig und kostbar wäre. Vieles, was uns lieb und teuer ist, ist uns momentan genommen. Ich hätte mir mein letztes Osterfest hier in Geisenfeld auch anders gewünscht …

Aber das sind ja alles Kleinigkeiten im Vergleich zu den Dingen, die wirklich zum Weinen sind. Der Frühling ist da, die Sonne scheint und das Leben erwacht – aber währenddessen hat sich etwas Unsichtbares erschreckend schnell in unserer Welt eingenistet: in unser Wirtschaftsleben, in unsere Gewohnheiten, in unsere Gedanken. Ein Virus lässt die halbe Welt stillstehen, lässt unzählige Menschen krank werden und Tausende sterben, überschwemmt uns mit Ängsten und Zukunftssorgen. Und all die anderen Probleme bleiben ja: die Armut, die Gewalt, die Flüchtlinge, unser eigener Kummer. Man könnte auch kurz sagen: Unsere Todverfallenheit bleibt.

„Corona-Virus“ heißt ein aktuelles Gedicht von Andreas Knapp:

Corona-Virus

ein winziges Stück RNA
erinnert die Krone der Schöpfung
an ihre Sterblichkeit

alle Welt gerät in Panik
man hatte das tatsächlich
vergessen

Ein Mensch, eine Frau weint aus tiefster Seele und hat allen Grund dazu, denn so viel wurde ihr genommen. Aber mitten in diese Tränen hinein spricht sie einer an, sagt nicht mehr nur einfach „Frau“, sondern nennt sie bei ihrem Namen: „Maria!“ Und so fängt Auferstehung an. Mein Weinen ist nicht bedeutungslos im riesigen Meer der Tränen. Einer kennt mich. Einer sagt zu mir – wie damals zu Mose und zum Volk Israel: „Ich kenne dein Leid.“ (Ex 3) Ich habe es aufs Kreuz getragen und in den Ostermorgen hinein. „Maria!“ – „Ich rufe dich bei deinem Namen, du bist mein!“ (Jes 43) Da gehen ihr die Augen auf.

Sofort wird ihr aber auch gesagt: „Halte mich nicht fest!“ Man kann die Erfahrung von Ostern nicht festhalten. Da ist nichts zu greifen und be-greifen. Wer von uns hätte schon seinen Glauben im Griff! Wer kann schon, wenn es zum Weinen ist, seinen Glauben einfach aus der Tasche holen und damit alle Probleme und Zweifel lösen! Wer meint, er hätte den Auferstandenen in der Hand, dem entzieht er sich.

„Jesus sagte zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um …“ Es steht in dieser Erzählung sogar zweimal da, dass Maria sich umdreht. Das gehört also auch zu Ostern: sich umwenden, die Richtung ändern, umkehren.
Viele denken momentan darüber nach, was diese Corona-Krise wohl für unsere Zukunft bedeutet. Oft wird dabei der „Zukunftsforscher“ Matthias Horx zitiert, der sagt: „Vielleicht war das Virus nur ein Sendbote aus der Zukunft. Seine drastische Botschaft lautet: Die menschliche Zivilisation ist zu dicht, zu schnell, zu überhitzt geworden. Sie rast zu sehr in eine bestimmte Richtung, in der es keine Zukunft gibt.“
In vielen Gesprächen habe ich die letzten Tage und Wochen gehört, dass man das erhofft: wie auch immer eine Veränderung, eine Umkehr. Das ist ja vielleicht auch eine Auferstehungshoffnung …

„Halte mich nicht fest“, sagt der Auferstandene. Ganz wörtlich übersetzt steht da: „Fasse mich nicht an! Berühre mich nicht!“ Na, da ist die Bibel wirklich mal aktuell! Keine Berührungen, Abstand halten – das haben wir in der letzten Zeit gelernt. Und das ist auch zum Weinen. Immer mehr spüren wir, dass menschliche Nähe und wirkliche Berührungen schlicht lebensnotwendig sind. Da sind wir auch in der Moderne ganz und gar „analog“.

„Berühre mich nicht!“ Gleich auf der nächsten Seite des Johannesevangeliums aber sagt der Auferstandene zu einem anderen das genaue Gegenteil. Zu Thomas sagt er: „Streck deine Hand aus und lege sie in meine Seite und in die Male an meinen Händen!“ Es gibt also doch eine Möglichkeit, den Auferstandenen zu berühren: in seinen Wunden. Und das zu erkennen, gehört wohl auch zu den Umkehr-Erfahrungen dieses Osterfestes. Unsere Kirchen sind leer, und möglicherweise sind sie es in ein, zwei Generationen auch ohne einen Virus. Aber trotzdem ist Christus da. Überall, wo man Wunden berührt, berührt man ihn.
„Berühre die Wunden“, heißt ein Buch des tschechischen Theologen Tomas Halik, das ich in der Karwoche gelesen habe. Da sagt er: „Ich glaube nicht an Götter und ich glaube nicht an Religionen, die diese Welt durchtanzen, ohne von ihren Wunden getroffen zu werden – ohne Schrammen, ohne Narben, ohne Verbrennungen –, damit sie auf dem Markt der Religionen von heute nur ihre glänzende Anmut gefällig zur Schau stellen.“
Nein, ein „gefälliges“ Christentum, das nur auf „glänzende Anmut“ setzt, braucht keiner mehr. Aber der Glaube an den Gekreuzigten, der zugleich doch der Auferstandene ist: Er ist die Hoffnung dieser Welt!

Darum möchte ich mit Worten von Johann Pock schließen:

Halte mich nicht fest!
Denn Auferstehung ist
Hoffnung entgegen dem Augenschein.
Nicht berühren, sondern glauben.
Nicht festhalten, sondern loslassen.
In der Umkehr das Erkennen der Zukunft.

Der Angst vor dem Unbekannten
wird das Vertrauen zu jenem entgegengesetzt,
der Aussätzige berührt und Tote erweckt hat.
Der in geschlossene Räume kam
und als Arzt an der Seele Verwundete heilte.

Gott scheint ferne zu sein,
er greift nicht ein. Oder doch?
Er ist im Arzt im Schutzanzug und
der Krankenschwester im 24-Stunden-Dienst.
Er ist in den hilfsbereiten Nachbarn
und in den systemerhaltend Arbeitenden.

Und er ist zugleich in den Sterbenden
in Intensivstationen
wie in den Flüchtlingskindern an Europas Grenzen,
und leidet und stirbt mit ihnen.

… Selig, die nicht sehen, aber doch glauben.

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PREDIGT BEI DER FEIER VOM LEIDEN UND STERBEN CHRISTI AM KARFREITAG

Der Karfreitag ist ein stiller Tag. Das ist er sonst schon – vielleicht nicht in der Eisdiele, aber hier in der Kirche –, heuer aber nun fast überall. Es ist ziemlich still im Land. Fast so still wie hier in diesem Gottesdienst. Keine Orgel, keine Ministranten, kaum Leute. Ganz ruhig ist es.
Es ist ja auch alles gesagt: in der Passionsgeschichte Jesu, in den Passionsgeschichten unserer Gegenwart. Und wenn wir noch so viel darüber reden würden: die Antworten nach dem Sinn von dem allem werden wir nicht finden.

So steht im Zentrum des Karfreitags die Stille. Wir schauen auf das Kreuz – und sehen in ihm die Leidensgeschichten unzähliger Menschen: der Opfer von Ungerechtigkeit, von Gewalt, von politischen und religiösen Machenschaften. Wer kann darüber hinweggehen?
Der Karfreitag sagt: Gott geht nicht darüber hinweg. Er verbindet sich mit allem Leiden, mit jedem Warum. Jedes Kreuz wird zu seinem Kreuz. Es spricht nicht länger für die Abwesenheit Gottes, sondern für seine Anwesenheit. In allem ist er zu finden, selbst im Leiden, selbst im Tod.

Das ist es, was ich wirklich glaube. Aber Fragen bleiben natürlich trotzdem. Warum überhaupt eine Welt mit Leiden und Tod? Warum zum Beispiel dieser Virus, der die ganze Welt durcheinanderbringt und schon so viel angerichtet hat?
In der Box hier in der Kirche, wo Menschen Gebete und Gedanken aufschreiben und einwerfen können, habe ich diese Woche folgenden Zettel gefunden: „Das, lieber Gott, hast du ganz toll hingekriegt, tausende Menschen einfach verrecken zu lassen. … Da hilft beten auch nicht mehr.“
So eine Aussage mag frommen Ohren blasphemisch klingen. Sie ist aber gewiss völlig ehrlich. Muss man sich das nicht manchmal fragen: Warum, lieber Gott? Wie kannst du das zulassen?

Die ewigen Fragen nach dem Warum – jeder Mensch kennt sie: Warum ist diese Welt so, wie sie ist? Warum gibt es in ihr so viel wunderbares Licht, aber auch so viele Schattenseiten? Warum der jederzeit mögliche „Shutdown“, ja Zusammenbruch des Lebens? – Das Leben wirkt manchmal so provisorisch, so unfertig, so fehlerhaft. So viele Ungereimtheiten, so viel Missratenes – warum?

In Seelsorgegesprächen versucht man oft, einen Menschen behutsam dahin zu führen, nicht nach dem „warum“ zu fragen, sondern nach dem „wozu“. Denn wer „wozu“ fragt, fragt danach, was sich aus einer Situation machen lässt, welche Chancen sie bietet. Das ewige Warum-Fragen bleibt ja doch ohne Antwort, da stößt man sich nur wund.
Auch in der Corona-Krise jetzt wird zu Recht gefragt: Wozu? „Nichts Schlechtes, wo nicht auch was Gutes dran ist“, hat mir gestern einer am Telefon gesagt, und es gibt ja schon Vorschläge, was dieses Gute in unserer so überhitzten, übereilten, vollgestopften und fragmentierten Gesellschaft sein könnte.
Aber für einen, der krank ist oder um einen geliebten Menschen trauert, klingt das auch schnell zynisch. Müssen Menschen sterben, damit wir wieder zum Nachdenken kommen?
Am Karfreitag schauen wir auf den, der nicht „wozu“ fragt, sondern – in dieser einen Stunde jedenfalls – „warum“. - „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Einem wie mir, einem Seelsorger und Theologen, geht es oft ziemlich schnell von den Lippen, dass Gott keiner ist, der jemals einen Menschen verlässt. Es liege letztlich an uns selbst, wenn wir das nicht merken.
Aber Jesus schreit sein bohrendes „warum“, seinen Schmerz, seine Einsamkeit heraus. Und sein Schrei ist noch nicht verklungen.
Nein, in einer Welt, die immer noch irgendwie „dazwischen“ steht, „zwischen“, wie Karl Rahner sagt, „dem abgründigen Entsetzen des Karfreitags und dem Jubel von Ostern“, wird der Schrei am Kreuz nicht verklingen.
Der, der diesen Schrei hört, wird aus dieser Welt aber auch nicht mehr verschwinden.


(nach einem Text von Bernd Mönkebüscher, in: „Ein nicht endender Anfang. Fragmente zur Fasten- und Osterzeit“, Echter-Verlag 2019)
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PREDIGT BEI DER FEIER VOM LETZTEN ABENDMAHL AM GRÜNDONNERSTAG

„Die Kirche lebt von der Eucharistie“, hat Johannes Paul II. programmatisch festgestellt. Sie ist „Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens“, lehrt das Zweite Vatikanische Konzil. Es ist also etwas ganz Zentrales, etwas wirklich „Systemrelevantes“, an dessen Anfang und Einsetzung wir heute in der Feier vom Letzten Abendmahl erinnern und was wir hier sakramental begehen.

Umso seltsamer ist es, wie wir es feiern – feiern müssen in dieser seltsamen Zeit. Seit über drei Wochen darf fast niemand mehr dabei sein, wenn ich die Messe feiere. Wie lange das wohl noch andauert? Und wie es dann weitergeht?
Unter Pfarrern und Kirchenleuten wird das momentan viel diskutiert. Werden die ersten Gottesdienste nach Ende der Ausgangs- und Versammlungsbeschränkungen bummvoll sein aus lauter Freude, dass man wieder kommen darf? Oder wird sich herausstellen, so befürchten manche, dass etliche nicht zurückkehren werden, weil sie festgestellt haben, dass ihnen eigentlich gar nichts gefehlt hat? Das soll es ja geben: Christsein als pure Gewohnheit, als leere Tradition.
„Dass du nicht da bist, das ist mein Fasten“, heißt es in einem Gedicht von Andreas Knapp. Von „Eucharistie-Fasten“ war jetzt oft die Rede. Aber empfinden wir das als Fasten? Wie viele Christen leiden darunter, dass Christus „nicht da“ ist, jedenfalls nicht „da“ im Sakrament und in der Kommunion?

Tomas Halik, der bekannte tschechische Theologe, hat am Sonntag gepredigt: „Für viele Leute heißt das Christsein, in die Kirche zu gehen. In der Corona-Zeit ist genau das nicht möglich. Aber das bedeutet nicht, dass wir weniger Christ sein müssen. Es fordert uns heraus, tiefer darüber nachzudenken, was es heißt, Christ sein.“

Lasst mich das Fasten-Gedicht von Andreas Knapp ganz vorlesen:

dass du nicht da bist
das ist mein Fasten

die Abwesenheit des Bräutigams
das Scheitern der Pläne
das Vermissen Gottes
Fastenzeit des Herzens

jeder ist seiner selbst so voll
pathologisches Übergewicht des
Sichwichtignehmens
Selbstgesättigtheit der Seele
Gott aber kann sich uns nur schenken
im Maße unsres Hungers nach ihm

gib dem Ehrgeiz keine Nahrung mehr
bläh das Selbstbild nicht mehr auf
dann lockert die Allsucht den Giergriff
Abmagerung der Ichpotenz
und es wird Raum
für der Liebe Freilassung

mach dich also dünn
damit Weite wächst
in der dir alles zufällt
leicht wie ein Geschenk

Diese Zeilen bringen manches auf den Punkt, worüber man in dieser Corona-Zeit, dieser „Fastenzeit des Herzens“ als Christ nachdenkt. Ja, das charakterisiert mich (und vielleicht unsere ganze Gesellschaft) richtig: „jeder ist seiner selbst so voll“. Da ist so wenig Platz für anderes. Wir wissen schon alles. Wir haben schon alles. Wir haben alles im Griff. „Selbstgesättigtheit der Seele“. Oder bleibt das ein tragischer Irrtum: zu versuchen, seine Seele selbst satt zu machen und zu erfüllen?
„Gott aber kann sich uns nur schenken im Maße unsres Hungers nach ihm“. Was sollte Eucharistie und Abendmahl sein ohne Hunger, ohne Sehnsucht nach dem, der uns hier begegnet?

Nein, noch sehen wir es nicht, wie wir als Kirche, als Gläubige aus dieser Corona-Zeit herauskommen werden. Hoffentlich behütet an Leib und Seele. Hoffentlich aber auch ein wenig so, dass auf uns das Wort des Propheten Amos zutrifft: „Siehe, es kommen Tage – Spruch Gottes, der Herrn –, da schicke ich Hunger ins Land, nicht Hunger nach Brot, nicht Durst nach Wasser, sondern danach, die Worte des HERRN zu hören.“ (Amos 8,11)

Nicht in die Kirche gehen zu können, sagt Halik, „bedeutet nicht, dass wir weniger Christ sein müssen. Es fordert uns heraus, tiefer darüber nachzudenken, was es heißt, Christ sein.“
Ich wünsche uns allen österliche Tage, an denen uns das gelingt!