Impuls vom 25.04.2020

Emmaus-Jünger reden miteinander

Das ist wirklich vorbildlich, was die beiden Jünger hier machen: Sie gehen – trotz allem – an die frische Luft und suchen Bewegung, aber sie halten sich an die Beschränkungen: Spaziergänge sind erlaubt, allerdings nur mit einer Person, die nicht zum eigenen Haushalt gehört. Darf der Dritte da eigentlich dazukommen?
Es ist seltsam, wie wir momentan alles durch die „Corona-Brille“ betrachten, sogar dieses wunderbare Evangelium von den Emmaus-Jüngern. Aber warum gehen die beiden eigentlich in dieses Dorf?

Wer schon einmal in Israel war, weiß, dass es mindestens vier Orte gibt, die behaupten, das biblische Emmaus zu sein. Endgültig wird sich das wohl nie klären lassen, obwohl es vielleicht einen Hinweis gibt. Denn der Name „Emmaus“ könnte sich von einem hebräischen Wort ableiten, das übersetzt „heiße Quelle“ bedeutet. Dann wäre Emmaus so etwas wie ein kleines Bad Gögging gewesen: ein Ort, wo man heiß baden und entspannen kann. Das lieben wir ja bis heute, ob in einem Thermalbad oder in der Wellness-Oase, im Schwimmbad oder daheim in der Badewanne: die Wärme genießen, runterkommen, Stress und Belastungen einfach mal vergessen. Eine kleine Flucht aus dem Alltag, ebenso wohltuend für verspannte Muskeln wie für die Seele.
Das ist jetzt reine Spekulation (bei Bertram Meier, dem künftigen Bischof von Augsburg, habe ich sie gelesen), aber sie würde zu unserer Geschichte passen. So ein Ort zum Herunterfahren täte den Jüngern gut – nach all den verstörenden Erlebnissen der letzten Tage: dem furchtbaren Ende ihres Meisters, den geplatzten Hoffnungen, den verwirrenden Erzählungen der Frauen, die am Grab waren.

Dafür nimmt man auch einen Fußmarsch von „60 Stadien“ in Kauf. Gut zwei Stunden braucht man dafür. Sie vergehen für die beiden wie im Flug, denn was dieser Fremde, der sich ihnen anschließt, zu erzählen und zu erklären hat, schlägt sie völlig in Bann. Er „zeigt ihnen auf, dass … im Geheimnis von Tod und Auferstehung Jesu die gesamte Botschaft der Bibel zusammengefasst werden kann. Alle Worte vom erlösenden und errettenden Gott, von dem Gott, der uns aus der Grube herausführt, der das versklavte Volk befreit, der uns aus der Not errettet, erlangen ihre Erfüllung in Tod und Auferstehung Jesu: Es gibt nichts, woraus Gott uns nicht zu erretten vermag. Gott hat Jesus von den Toten erweckt, Also wird er auch uns aus jeder Dunkelheit herausführen in das Licht, aus dem Grab in das Leben, aus der Starre in die Lebendigkeit, aus der Gefangenschaft in die Freiheit, aus der Blindheit zum Sehen, aus der Lähmung in das Gehen, aus der Gesetzlichkeit in die Liebe.“ (Anselm Grün)
Da wird den beiden Jüngern, noch bevor sie die „warmen Quellen“ erreichen, warum uns Herz. So sagen sie es selber: Ihr Herz fängt zu brennen an (V. 52).

Das alles war möglich, weil Menschen bereit waren, spazieren zu gehen und miteinander zu reden. Gerade Letzteres ist nicht unbedingt unsere Stärke. „Trauen wir es uns zu, zwei Stunden lang mit einem Wegbegleiter, ja mit einem Lebensgefährten, einer Lebensgefährtin über Glaubenserfahrungen zu sprechen? Habe ich wirklich jemanden, mit dem ich mich auch über religiöse Dinge unterhalten kann?“ (Bertram Meier)
Über andere Dinge spricht es sich leichter. Man kann auch nicht immer „ernsthaft“ reden. Aber so manches Plaudern, so manches Geschwätz ist wohl einfach nur Zeichen dafür, dass man sich auf Tieferes nicht einlassen will. Einige, die in diesen Corona-Zeiten eng aufeinander sitzen und wenig Abwechslung haben, spüren das jetzt sehr deutlich. Wie lässt der Kabarettist einen Mann sprechen: „Kein Fußball, kein Stammtisch – mir war so langweilig, dass ich mich mit meiner Frau unterhalten habe. Und stell dir vor: So zwieda is de gar ned!“

Möglicherweise ist das eine der Chancen dieser seltsamen Zeit: Warum nicht mal mehr miteinander reden? Warum nicht mehr spazierengehen, denn da redet es sich oft leichter? Warum nicht auch mal über meinen Glauben, meine persönliche Hoffnung sprechen?
Mit Bertram Meier gesprochen: Das wäre „meine Frage aus der Emmausgeschichte: Könnte es nicht sein, diese Zeit zu nutzen, um in unseren Gesprächen wieder wesentlicher zu werden, um einander noch tiefer und wohlwollender kennen und schätzen zu lernen, um auch Jesus neu auf die Spur zu kommen? Ehepartner, Geschwister, Freunde sind für mich heute die Emmausjünger, die miteinander durchs Leben gehen. Deshalb mein Tipp: Wenn auch vieles … nicht geht, ein Emmausgang ist erlaubt – zu zweit oder als Familie, immer mit dem gebührenden Abstand, aber das macht nichts. Denn dazwischen – in der räumlichen Distanz – läuft ein unsichtbarer Weggefährte mit: Jesus, der Auferstandene, der uns begleitet auch in dieser delikaten Zeit. Ihn bitten wir: Bleib bei uns, damit wir mit dir gehen ein Leben lang!“

(Predigt am 3. Sonntag der Osterzeit - Idee und Zitate aus einem Text von Dr. Bertram Meier zum Ostermontag 2020. Das Zitat von A. Grün: Jesus - Bild des Menschen. Das Evangelium des Lukas, S. 106)

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EMMAUS

Immer wieder brechen wir auf,
kommen trostlos zurück
vom Friedhof einer begrabenen Hoffnung.
Und jedesmal mehr
haben wir ein Stück von uns selber begraben
und meinen: Jetzt ist alles aus!

Immer wieder gesellt sich auf diesem Kreuzweg
unerwartet einer zu uns,
geht ein Stück mit auf der Straße des Lebens.
Sagt nicht nur "Herzliches Beileid",
sondern nimmt unsere Hand,
bringt uns zum Sprechen,
taut langsam uns auf.

Immer wieder trifft uns ein Wort,
macht uns betroffen.
Läßt uns erfahren: Ich bin damit gemeint.
Und wir erahnen im Rückblick den Sinn,
den roten Faden der Führung in unserem Leben,
weil da ein Fremder zu deuten versteht:
"Musste nicht der Messias dies alles erleiden …"
"Kann es nicht sein, dass auch du …"

Immer wieder, wenn die Sonne sich senkt,
geht uns ein Licht auf:
Freunde zusammen am Tisch,
am Altar, am Stammtisch, im Urlaub.
Gespräche. Erinnerungen. Spürbare Nähe.
Wir fühlen uns wohl und geborgen
mindestens jetzt, für diese Stunde.
Das Leben ist schön, trotz allem.
Dankbarkeit keimt in uns auf für alles Geschenkte
und ein Anflug von Hoffnung für Morgen.

Immer wieder erfahren wir:
In all dem liegt noch ein "Mehr",
das wir nicht ausdrücken können,
das sich dem Zugriff entzieht.
Vielleicht ist tatsächlich ER es, der Herr.
Und wir versuchen zu beten:
"Herr, bleibe bei uns!"

(Hermann Josef Coenen, Meine Jakobsleiter. Meditationen, Patmos Verlag 1992, S. 38f.)