Impuls vom 02.05.2020

"Ich bin die Tür!"

„Wenigstens ist nur Ostern ausgefallen und nicht Weihnachten“, soll dieser Tage ein Kind gesagt haben. Nun gab es trotz der schwierigen Umstände natürlich trotzdem ein Osterfest und jetzt die Osterzeit, aber wir verstehen schon, was der Kleine meinte, und gönnen ihm von Herzen diesen Trost. Für viele – wenn auch nicht für die Theologen – ist Weihnachten wichtiger als Ostern. Und das liegt nicht nur an Geschenken und Brauchtum, sondern auch am Inhalt dieser Feste. Die Botschaft von Kreuz und Auferstehung dringt bei weitem nicht so unmittelbar in unser Gemüt wie die von Weihnachten. Geburt gehört zu unserem Erfahrungsbereich; mit jedem neugeborenen Menschenkind verbindet sich automatisch so etwas wie Hoffnung und Freude. Aber mit Auferstehung haben wir so gar keine Erfahrung. Wir kennen nur Leben, das immer auch Sterben ist.
Darum ist es schon gut, dass wir für Ostern 50 Tage Zeit haben. Auch in Corona-Zeiten nimmt uns das Kirchenjahr gleichsam an der Hand, um das, was für uns so schwer fassbar ist, in Bilder und Vorstellungen zu übersetzen und immer neue Anknüpfungspunkte zu suchen, die unser Herz in Richtung auf den Osterglauben in Bewegung setzen.

Auch der heutige Sonntag bietet solche Anknüpfungspunkte. Ich möchte dabei nicht das berühmte Bild vom guten Hirten aufgreifen, sondern das andere, das auch in unserem Evangelium steht: „Ich bin die Tür“, sagt Jesus. „Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden; er wird ein und aus gehen und Weide finden.“ (Joh 10,9) - Was hat die Tür mit Auferstehung zu tun?
Damals wird bei diesem Bild den Menschen sofort die Vorstellung vom Totenreich vor Augen gestanden sein. In der Antike dachte man sich die Verstorbenen in der Unterwelt, in einer Art riesigem, dunklem Gefängnis, in dem der Tod als unerbittlicher Tyrann die Schatten regiert. Es war ein Haus ohne Wiederkehr.
Heute lächeln wir über solche mythologischen Vorstellungen. Aber vielleicht haben wir diese Idee des Totenreichs auch einfach nur aus der Unterwelt auf unsere konkrete Erde heraufgeholt. Ist nicht für viele Menschen diese Welt ein Totenhaus, das nur Eingänge hat, aber keinen Ausgang? Wenn der Tod das letzte Wort hat, ist die Welt der „Warteraum zum Nichts“.
Bei Franz Kafka – Künstler sind da einfach immer am deutlichsten – ist diese Vorstellung auf geradezu beängstigende Weise zu Ende gedacht. In seinem Roman „Das Schloss“ erscheint das Leben als ein vergebliches Warten, als ein auswegloser Versuch, durch die Wirrsale der Bürokratie bis zum Zuständigen und Befreienden vorzudringen. Im „Prozess“ stellt sich das Leben selbst als ein Prozess dar, der unweigerlich mit dem Todesurteil endet. Am Ende des Romans steht das Gleichnis vom Menschen, der sein ganzes Leben lang vor einer Tür wartet und nicht in sie hineingelangen kann, obwohl sie eigens für ihn geschaffen ist.

„Ich bin die Tür“, sagt Christus. Ein Bild, das sich lange meditieren lässt – und das uns eine Ahnung davon gibt, warum Ostern der Kern unseres Glaubens ist.
Joseph Ratzinger hat einmal gesagt, dass Weihnachten nur der erste Teil der christlichen Antwort ist. „Weihnachten sagt: Es gibt nicht nur den Tyrannen Tod; es gibt Gott, der das Leben ist, und dieser Gott kann bis zu uns vordringen und will es, er hat den Weg zu uns herein freigebrochen. Er hat eine Tür geschaffen. Aber die Antwort ist erst dann vollständig, wenn es auch für uns einen Ausgang, nicht nur für Gott einen Eingang zu uns gibt. Sie ist erst dann befriedigend, wenn der Tod kein Gefängnis ohne Wiederkehr mehr ist. Das ist der Inhalt der österlichen Botschaft. Es führt nicht nur eine Tür herein, es führt auch eine Tür hinaus. … Das Leben ist nicht der Warteraum zum Nichts, sondern der Anfang der Ewigkeit. … Die Tür steht offen; sie heißt: Jesus Christus. Den Lichtschein dieser Tür uns zu zeigen – das ist der Sinn des Osterfestes.“

Das war übrigens auch immer der Sinn von Kirchenbauten. Gerade im Mittelalter hat man keinen Aufwand gescheut, den Gotteshäusern Türen zu geben, die nicht bloß praktischen Zwecken dienen, sondern unmittelbar zum sprechenden Symbol werden. Ein besonders schönes Beispiel dafür haben wir in unserer Stadt in Ainau mit dem wunderbaren romanischen Portal. Da ist dieses Bild buchstäblich Stein geworden: Dass es in dieser Welt einen Eingang gibt, durch den Gott zu uns kommt. Und dass es zugleich einen Ausgang für uns gibt: Wir sind nicht eingesperrt in diese Welt mit ihren Grenzen. Denn oben über dem Portal ist in Ainau Christus dargestellt. Und jedem, der kommt, sagt er: „Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden; er wird ein und aus gehen und Weide finden.“

(vgl. J. Ratzinger, „Hebt euch, ihr uralten Pforten“, in: ders. Gottes Glanz in unserer Zeit, Herder Verlag 2005, S. 72-76)