Impuls vom 17.05.2020

Selbstverbergung?

Könnte Selbstverbergung die Gefahr einer kleiner werdenden Kirche in unserem Land werden? Die Christen werden hier nicht verfolgt, aber die Kirche verlieren ihre Akzeptanz, die sie schon beinahe für natürlich gehalten haben. Darüber könnte ihnen der Stolz abhanden kommen, sich öffentlich zu zeigen. Sie könnten zu kleinen Gruppen von selbstvergewisserten Menschen werden, die nur noch nach innen denken und nicht mehr wahrnehmen als sich selber.
Das wäre schlimm für die Gesellschaft wie für die Kirchen selber. Die Gesellschaft würde eine Instanz des Einspruchs verlieren. Die alten Geschichten von der Würde und der Freiheit des Menschen würden verstummen, und die Gesellschaft würde an ihrer eigenen "Offenheit" und Ziellosigkeit verkümmern.
Aber die Kirche würde auch sich selber undeutlich werden. Man lernt, wer man ist, indem man zeigt, wer man ist. So lange Menschen etwas wollen, etwas lieben, Leidenschaften und Interessen haben, so lange stellen sie sich dar und führen sie sich auf. Farbe bekennen, sich zeigen, sich nicht verschweigen, öffentlich werden ist ein Grundbedürfnis. Man wird der, als der man sich zeigt. Man befestigt seine Absichten, indem man sie vorzeigt. Nur die Stadt auf dem Berg bleibt Stadt. Christus heiligen heißt Christus zeigen.

(Fulbert Steffensky, Schöne Aussichten. Einlassungen auf biblische Texte, RADIUS-Verlag 2006, S. 101)