Impuls vom 01.04.2012

Was feiern wir?

Am Beginn der "Großen Woche" lässt uns die Kirche in einer festlichen Prozession Christus als Sieger und König zujubeln. Wir könnten uns fragen, ob das zum Anfang der Karwoche passt, da in der Liturgie die Passion Jesu verkündet wird. Doch der Hosannajubel des Palmsonntags ist ein Hinweis auf die Eigenart des Leidensgedächtnisses, in das wir an diesem Tag eintreten: Der Leidensbereite ist nicht Gegenstand unseres Mitleids, sondern unserer sieghaften Freude.

Die Liturgie kennt keine Melancholie. Es geht in ihr nicht um ein Bedauern und Lamentieren darüber, dass die Menschen den Heiland so grausam behandelt haben. Wir feiern die Passion Jesu als Sieg. Der Kreuzträger ist der König. Der, welcher sich vom Tode besiegen lässt, ist in Wahrheit der Überwinder des Todes, seines Todes und unseres Todes.

Die Kirche entfaltet vor unseren Augen das erlösende Passionsmysterium in einem Wochengeschehen. Am Palmsonntag schauen wir auf den todesbereiten Herrn, der bewusst der Stadt seines Leidens entgegen geht.
Am Gründonnerstag dann blicken wir auf den Herrn im Abendmahlssaal. Er deutet sein Leiden als Hingabe für die vielen, für die Menschen. Stellvertretend und sühnend für die Schuld der Menschen geht er den Weg des Kreuzes.
Am Karfreitag stehen wir mit Maria und Johannes unter dem Kreuz und erfahren, dass die rettende Liebe des Herrn blutige Wirklichkeit ist. Gott redet nicht nur von seiner Liebe - er lässt diese Liebe belasten, lässt sie bis zum Äußersten sich ausdehnen, bis zu dem Punkt, an dem menschliche Liebe normalerweise zerbricht.
Das ist das Geheimnis des stillen Karsamstags, an dem wir mit den Augen des Glaubens auf einmal das Grab vom Licht der Liebe Gottes erhellt sehen: Es gibt für uns keine Einsamkeit mehr. Selbst der Tod lässt uns nicht in die Einsamkeit sinken, denn dort ist schon der Herr unser Gefährte geworden.
Die Osternacht bringt dann im Jubel des Halleluja zum Vorschein, was, verborgen hinter allen Feiern, Wirklichkeit ist: Durch Christi Lebens- und Todeseinsatz ist uns das Leben geschenkt. Der Tod hat über uns keine wirkliche Macht mehr. Christi Passion hat unsere Gräber geöffnet und uns das Leben Gottes neu geschenkt.

Der Leidensbereite ist der Sieger. Wir dürfen dem Kreuzträger das Hosanna zurufen und tun es, weil wir wissen, dass seine Liebe auch uns getragen hat und immer noch trägt.
Wir haben ihn geschlagen - und er bleibt uns treu. Wir haben ihn gegeißelt - und er tritt für uns ein. Wir haben sein Herz durchbohrt - und es war darin keine Arglist und kein Rachegedanke gegen uns zu finden.
Gottes Liebe, in Christus auf die Folterbänke der Welt ausgespannt, lässt sich nicht in Hass verwandeln. Das ist der Sieg, der uns Christus zujubeln lässt: "Hosanna, dem Sohne Davids! Gepriesen, der da kommt im Namen des Herrn!"


(Joachim Wanke, in: Deine Auferstehung preisen wir. Österlich leben, Herder1990)