Impuls vom 03.10.2014

Weit weg ist näher, als du denkst!

Als in Bangladesch mehrmals hintereinander hunderte Frauen in den Flammen von Kleiderfabriken erstickten
und verbrannten, ließ das niemanden kalt. Und das umso mehr, als bekannt wurde, dass auch bei uns bekannte
Markenfirmen zu den Auftraggebern gehörten. Am eigenen Leib tragen wir Kleidungsstücke, die dort gefertigt
wurden. Mit einem Mal wurde angesichts dieser Tragödien vielen bewusst, wie weltweite Verflechtungen längst
unseren Alltag prägen. "Weit weg ist [also] näher, als du denkst." So die Jahreskampagne der Caritas 2014!
Vor allem Kleidungsstücke, wie T-Shirts, Kleider oder Hosen werden in den sogenannten Billiglohnländern zu
Niedrigstpreisen gefertigt und von weltweit tätigen Konzernen eingekauft. Dies führt häufig zu menschenverachtenden
Arbeitsbedingungen und Löhnen, die kaum zum Überleben reichen. Und unsere nicht mehr verwendeten
Handys landen auf den Müllhalden Westafrikas. Auch Kinder sind es, die sie unter unwürdigsten Umständen
ausschlachten. Mit diesen Rohstoffen beginnt die Produktion von wieder vorne, damit wir das neueste
Modell kaufen können.
Auf ganz andere Weise zeigt der mehr als verständliche Wunsch, bei Pflegebedürftigkeit möglichst lange zuhause
wohnen zu können, unsere weltweiten Bezüge. Oft können aber pflegende Angehörige Pflege und Betreuung
nicht mehr ohne außerfamiliäre Unterstützung leisten. Ost- und mitteleuropäische Frauen werden als Pflege- und
Haushaltshilfen gesucht. Um das Überleben ihrer eigenen Familien zu sichern, arbeiten viele in Deutschland. Ihre
eigenen Kinder und Eltern müssen dann meist alleine zu Recht kommen und haben genau das nicht, was wir
uns "einkaufen": Menschliche Nähe!
Und schließlich wissen wir lange schon, wie sehr unser Energieverbrauch das weltweite Klima belastet. Dürren,
Überschwemmungen und bedrohliche Stürme, wie im Herbst 2013 auf den Philippinen, nehmen dramatisch zu.
Sie berauben die Menschen ihrer Lebensgrundlagen und führen häufig zu Hungerkatastrophen. Vor allem die
ohnehin nicht mit Reichtum gesegneten Bevölkerungsgruppen sind davon ganz besonders betroffen. Und die
gibt es auch innerhalb der reichen Länder. Das nicht versicherbare kleine Häuschen an Elbe und Donau steht
dafür sprichwörtlich in unserem Land!

Liebe Schwester und Brüder! "Ihr sagt: Das Verhalten des Herrn ist nicht richtig. Hört doch, ihr vom Haus Israel:
Mein Verhalten soll nicht richtig sein? Nein, euer Verhalten ist nicht richtig." Was mit diesen Worten der Prophet
Ezechiel seinem Volk entgegen hält, als es darüber klagt, Gott habe sie ungerecht behandelt, kann ohne
Umschweife auf unser Thema bezogen werden. Niemand anders trägt Verantwortung für unsern Globus, als
wir selbst. Die prophetischen Worte machen deutlich, dass es das Verhalten der Menschheitsfamilie ist, das
weltweite Folgen hat.
Und genau da hinein erfolgt letztlich der Ruf zur Umkehr. Vielleicht sind wir tatsächlich manchmal wie der eine
Sohn aus dem Evangelium, der dem Herrn antwortete: "Ja, Herr!" Aber dann doch nicht ging. Wir wissen, mindestens
jedoch ahnen wir, was wir zu tun hätten und tun es doch häufig nicht – unsere Lebensweise zu ändern.
Da hat dann der zweite Sohn durchaus so etwas wie Vorbildcharakter. "Dieser antwortete: Ich will nicht. Später
aber reute es ihn, und er ging doch." Denn zur Umkehr ist es (fast) nie zu spät. Noch können wir bei allem Gegrummel
innehalten und um neue Wege ringen.
So kann Gerechtigkeit beim täglichen Einkauf beginnen. Ein T-Shirt für weniger als 2 Euro kann nicht unter gerechten
Bedingungen hergestellt werden. Dumpinglöhne, fehlende Sozialversicherungen und schlecht ausgestattete
Produktionsstätten ermöglichen Markenprodukte zu Spottpreisen. Als Käufer aber sitzen wir unsichtbar
an den Direktionstischen der Konzerne – und wenn wir unser Kaufverhalten ändern, dann ändern sich auch
deren Strategien- denn diese wollen verkaufen. Bevorzugen wir jene, welche die Einhaltung der Menschenrechte
nachweisen, ändert sich garantiert etwas.
Genauso können unterstützende Hilfen aus Osteuropa zur häuslichen Pflege beiden Seiten helfen: Jenen, die
Arbeit bei uns suchen und jenen, die zuhause betreut und gepflegt werden wollen. Aber dazu braucht es geregelte
Arbeitszeiten und einen gerechten Lohn, eine Sozial- und Krankenversicherung und einen gesetzlichen
Urlaub. Und die Caritas kann dabei unterstützen, dass die Familie im Herkunftsland im Blick bleibt, die Kinder
versorgt werden und ein regelmäßiger Kontakt möglich ist. Arbeitsmigration ist nicht per se böse, aber sie muss
menschenwürdig gestaltet werden.
Längst schon sind wir also "globale Nachbarn". Diese Idee prägt die Plakate der Caritas-Kampagne 2014.
Rasenmähen am Sonntagmorgen um acht Uhr geht nicht. Müll abladen vor der Haustür des Nachbarn ebenfalls
nicht. Die ausgeliehene Leiter weiter verscherbeln? Das geht nicht! Und weltweit? Warum sollte es hier anders
sein, nur weil der Nachbar weniger kräftig ist und ein paar Tausend Kilometer weiter weg lebt? Unsere Welt ist
längst zum Dorf geworden- das schätzen wir, wenn wir weltweit miteinander im Kontakt sein können – aber
deshalb sind wir auch füreinander verantwortlich!
Liebe Schwestern und Brüder! Weil also weit weg näher ist, als wir oft denken, lassen Sie mich mit einem Gebet
von Adalbert Balling schließen:
Herr Jesus Christus,
der du von einer hebräischen Mutter geboren,
aber voll Freude warst,
über den Glauben einer syrischen Frau
und eines römischen Soldaten-
der du die Griechen, die dich suchten,
freundlich aufgenommen hast
und zuließest, dass ein Afrikaner dein Kreuz trug –
hilf uns,
Menschen aller Rassen und Nationalitäten,
aller Farben und Schichten
als Miterben in dein Reich zu bringen. Amen.


Prälat Dr. Peter Neher,
Präsident des Deutschen Caritasverbandes