Impuls vom 09.04.2009

Vom Tod zum Leben

Vom Tod zum Leben (Franz Kamphaus)

1953 war ich als frischgebackener Abiturient zum ersten Mal auf Burg Rothenfels. Bis dahin kannte ich die liturgische Bewegung nur vom Hörensagen. Nun durfte ich an einem ihrer Ursprungsorte die neugestaltete Liturgie der Karwoche miterleben. Die Tage waren für mich ein Schlüsselerlebnis. Durch die Gestaltung der Liturgie und die Erschließung der Symbole spürte ich zum ersten Mal: Das hat etwas mit deinem Leben zu tun. Vom Tod zum Leben – ein Wandlungsprozess wie von der Raupe zum Schmetterling.

Wir können es drehen und wenden wie wir wollen: Das Leben ist tödlich, alles in der Welt hat ein Ende. Diese schonungslose Einsicht hat nichts zu tun mit Miesmacherei. Keinen Augenblick soll uns die Freude am Leben verdorben werden. Dafür gibt es viel zuviel Schönes – hinreißend und beglückend. Aber gerade um der Lebenswahrheit willen müssen wir sagen: "Alles was ist, hat ein Verfallsdatum. Was immer man lieben mag, man liebt etwas, das sterben muss" (Madeleine Delbrel). Dabei geht es ja nicht nur um Leid und Tod im Allgemeinen, sondern insbesondere um das, was wir Menschen uns und anderen antun und wodurch wir uns (und die Umwelt) kaputtmachen- es geht um Schuld und Scheitern. Können wir unserer Verantwortung standhalten?
Das Besondere des christlichen Glaubens – auch im Religionsvergleich – zeigt sich gerade im Mut, die Frage nach dem Leben auch im Tod zu stellen. Als Christen werden wir die unentrinnbare Macht des Todes und das tödliche Gewaltpotential in uns weder betriebsblind verharmlosen noch panisch dramatisieren. Der Osterglaube ist gerade darin erlösend und befreiend, dass er uns beides zumutet: das Faktum des Todes einerseits und die mitten im Tod Leben schaffende Kraft Gottes andererseits.

Diese Mitte des christlichen Glaubens findet einmal im liturgischen Jahr ihre ausdrückliche Darstellung. Die Woche zwischen Palmsonntag und Ostersonntag ist geprägt von jener Spannung, in der Jesus in der Gewissheit von Gottes Treue mitten in tödlichen Verhältnissen jene Feindesliebe lebte, die mit ihm in die Welt gekommen ist. Wir brauchen die acht Tage der Karwoche, um Szene für Szene durchzugehen und dabei zu erfahren, wie sehr es unsere eigene Geschichte ist, die wir in der Gestalt Jesu schon erlöst sehen dürfen.
Seine Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit, mit der er in Jerusalem einzog, ist auch unsere.
Sein Mut, am Gründonnerstag Brot und Wein zu teilen und sich zu verausgaben an seine Jünger, ist kostbarstes Erbe und lebendige Gegenwart unter uns: Brot teilen, Leben teilen, einander die Füße waschen, "Sakrament der Liebe" werden.
Dass er sein Leben hingab, um den verfluchten Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt zu durchbrechen, macht den Sterbetag Jesu, den Karfreitag, zu einem Feiertag für uns. Jedes Sterben, das natürliche und das unnatürliche, vor allem der Tod durch Gewalt, Hunger und Unrecht, gehören mit dem Tod auf Golgotha zusammen.
Abgründig öffnet der Karsamstag den Blick in die Schrecken des Todes: Christus steigt hinab in das Reich der Toten, um auch alle jene, die vor uns gelebt haben, aus dem Tod herauszureißen und heimzuholen in das Leben Gottes, das den Tod hinter sich hat.
Wir glauben, dass der Tod im Tod Jesu Christi verschlungen ist. Das ist die Botschaft der Osternacht: Mitten im Tode sind wir vom Leben umfangen. Im Einstieg und Hindurchgehen durch die Nacht bricht das Licht auf in der Osterkerze. Lumen Christi! Es gleicht der Feuersäule, die den Israeliten den Weg zeigte aus der Knechtschaft Ägyptens in die Freiheit: "Dies ist die Nacht, in der die leuchtende Säule das Dunkel der Sünde vertrieben hat" (Exsultet).

Die ganze Karwoche gestaltet sich als ein großer Spannungsbogen, in dem der Weg vom Leben zum Tod umgekehrt wird: Vom Tod zum Leben – durch Ihn und mit Ihm und in Ihm. Er bahnt uns den Weg aus der Knechtschaft in die Freiheit.
Vom Osterfest fällt Licht auf jeden Sonntag. Wir feiern "den ersten Tag der Woche als den Tag, an dem Christus von den Toten erstanden ist" (Hochgebet). Er ist der Tag, an dem Christus unsere Leidens- und Gewaltgeschichten überwunden hat, er ist der Anfang eines neuen Lebens, das A und O, das Ein und Alles.
Das feiern wir in der Eucharistie: "Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit." Die Eucharistie führt uns vom Tod zum Leben, von der Knechtschaft in die Freiheit. Sie nimmt uns mit unserem alltäglichen Leben auf diesen Weg.