Impuls vom 31.03.2017

Vom Konflikt zur Gemeinschaft

Liebe Christinnen, liebe Christen!
"Es luthert unheimlich!" So hat eine Zeitung ihren Artikel über die Leipziger Buchmesse überschrieben. In der Tat: Nicht nur viele Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt, sondern auch ungezählte Veranstaltungen aller Art – Aktionen, Ausstellungen, Medienprojekte, Gottesdienste – beschäftigen sich heuer mit Martin Luther und der Reformation, deren Beginn traditionell auf den berühmten Thesenanschlag am 31. Oktober 1517 gelegt wird.

Was geht das uns an? - Als die Idee aufkam, das Reformationsgedächtnis auch auf der Ebene unseres katholischen Dekanates aufzugreifen, wurde diese Frage natürlich gestellt. Manchem Katholiken mag es schon ein bisschen zu viel "luthern". Und was genau in diesem Jahr 2017 zu feiern ist, darüber gehen die Meinungen natürlich auseinander. Im gemeinsamen Wort der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz heißt es: "Die einen feiern den Tag (den 31. Oktober) als großes Jubiläum, mit dem sie sich freudig der Bedeutung des Evangeliums für den Weg der Kirche vergewissern, das durch die Reformation neu entdeckt worden sei. Den anderen steht in erster Linie die mit der Reformation verbundene Trennung der Christenheit vor Augen, die sie mitsamt ihren Auswirkungen schmerzt."
Und bei diesen schmerzlichen Auswirkungen müssen wir gar nicht an so schreckliche Dinge wie Ketzerverfolgungen und Konfessionskriege denken oder an die Nöte von Menschen in (damals so genannten) "Mischehen", von denen manche von uns vielleicht noch zu erzählen wüssten. Reicht es nicht schon, dass wir in zwei Wochen wieder so Ostern feiern werden, als ob es die jeweils anderen gar nicht gäbe?

Ja, das geht uns etwas an. Die Frage ist nur, wie wir es uns etwas angehen lassen. Es ist heutzutage wahrlich nicht schwer, ein Loblied auf die Vielfalt zu singen. "Leben und leben lassen", das haben wir Bayern immer schon hochgehalten. Aber da führt man dann die Ökumene wie zwei Parallelen: Die bleiben immer geradlinig, die berühren sich darum aber auch nie. Das ist vielen bis heute ganz recht: sich nicht wirklich berühren zu müssen. Denn es ist ja klar, dass das ohne Kurskorrekturen, ohne einen gewissen Richtungswechsel nicht möglich sein wird. Und wo führt uns das hin?

Es gibt da eine schöne Geschichte, eine erzkatholische Heiligenlegende, die von Franz von Assisi und seiner getreuen Freundin Klara erzählt. Nach langer Trennung wollten sich die beiden endlich wiedersehen und verabredeten sich deshalb in einem Tal bei Assisi. Nun war es aber so, dass Franz auf der einen, Klara auf der anderen Seite des Flusses ankam, der das Tal durchschnitt. Und da ging es ihnen wie den beiden Königskindern: "Sie konnten beisammen nicht kommen, das Wasser war viel zu tief." Und weil es nirgends eine Brücke gab, schlug Franziskus traurig vor, wieder nach Hause zu gehen. - Klara aber hatte einen besseren Vorschlag: "Gehen wir doch den Fluss hinauf bis zur Quelle." Das taten die beiden- es dauerte sehr lange, und der Weg war steil und anstrengend. Doch dann war es tatsächlich geschafft und die Quelle erreicht. Sie tranken das klare Wasser und waren voll Freude, endlich wieder beisammen zu sein.

So schlicht diese Geschichte ist, so schlicht ist ihre Botschaft. Und wenn es auch naiv klingt: Ist das nicht genau der geforderte Richtungswechsel? Zurück zur Quelle, zurück zum Anfang: Mit diesem Programm ist Martin Luther damals angetreten. "Reformation" - dieses aus dem Lateinischen abgeleitete Kunstwort heißt ja: zurück zur Form, Wiederherstellung des Ursprungs. Und das ist gewiss nicht einfach typisch evangelisch, sondern dem ganzen Christentum vorgegeben, seit Jesus sein Wirken mit den Worten begann: "Kehrt um und glaubt an das Evangelium!"
Wer sich mit Martin Luther beschäftigt, findet gewiss einiges Fragwürdige und manchmal sogar Abstoßende, er findet aber vor allem einen Christenmenschen, der sich restlos der ungeheuren Wucht dieses Anfangs aussetzt, der unermüdlich die Quelle sucht, der Christus sucht – und sich von ihm sagen lässt: "Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht- denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen."

Insofern darf es nicht nur für die evangelischen, sondern auch für die katholischen Christen unheimlich viel "luthern". Als Benedikt XVI. bei seinem Besuch im ehemaligen Augustinerkloster Luthers in Erfurt an dessen Glaubensweg erinnerte, sagte er: "Auf diesem Weg ging es ihm ja nicht um dieses oder jenes. Was ihn umtrieb, war die Frage nach Gott, die die tiefe Leidenschaft und Triebfeder seines Lebens und seines ganzen Weges gewesen ist."
In der Ökumene und in diesem Jahr 2017 kann es uns auch nicht einfach nur um "dieses oder jenes" gehen, um so einen Dekanatstag etwa, eine schöne Podiumsdiskussion und vielleicht ein ökumenisches Pfarrfest. Wenn, dann geht es um die Quelle. Dann geht es um dieses "in Christus bleiben". Und um die Frage, wie wir das gemeinsam tun können, wie wir uns dabei helfen und natürlich auch gegenseitig korrigieren können. Denn in jedem Fall gilt für das, was wir in unseren Gemeinden so alles tun und lassen, auch für unsere Ökumene, Christi Wort: "Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen."

Liebe Schwestern und Brüder,
zu unserem Gottesdienst heute gehören auch "Verpflichtungen", die wir eingehen sollen, die auch Papst Franziskus und der Lutherische Weltbund in Lund eingegangen sind. Die vierte davon heißt: "Lutheraner und Katholiken müssen gemeinsam die Kraft des Evangeliums Christi für unsere Zeit wiederentdecken."
Frage sich jede Gemeinde, ob sie das tut: in Gottesdiensten und Bibelgesprächen, in ihrer Caritas und Diakonie, im Gebet. Frage sich jede Gemeinde, ob es ihr wirklich ein Anliegen ist, das gemeinsam zu tun – und sich an der Quelle immer neu zu berühren.

"Gott begehrt nichts mehr von uns, denn dass man Großes von ihm erbittet", sagt Martin Luther.
So darf ich mit dem Gebetswunsch schließen, den Papst Franziskus in Lund gesprochen hat: "Als Lutheraner und Katholiken beten wir gemeinsam in dieser Kirche und sind uns bewusst, dass wir getrennt von Gott nichts vollbringen können. Wir erbitten seine Hilfe, damit wir lebendige, mit ihm verbundene Glieder sind, immer seiner Gnade bedürftig, um gemeinsam sein Wort in die Welt zu tragen – in diese Welt, die seiner zärtlichen Liebe und seiner Barmherzigkeit so sehr bedarf."


(Predigt beim Dekanatstag am 30. März 2017)