Impuls vom 26.03.2010

Austritt? Kommt nicht in Frage

Kirche in der Krise
Austritt? Kommt nicht in Frage!

Es wird Missbrauch betrieben mit dem Missbrauch. Der Papst wird angegriffen, der Katholizismus verteufelt. Als bekennender Katholik plädiert Matthias Matussek für Besonnenheit - und nimmt seine Kirche in Schutz: Sie ist die beste Grundlage für eine starke, integre Gesinnung.

Warum ich immer noch in der katholischen Kirche bin, wurde ich gefragt. Eine mögliche Antwort wäre diese: Weil ich nicht draußen sein kann.
Ich bin katholisch zur Welt gekommen, aufgewachsen, erzogen, geprägt - und werde wohl katholisch sterben. Ich bin so katholisch wie ich Mann bin. Ich habe mir die katholische Religion nicht ausgesucht. Aber wenn ich die Wahl gehabt hätte, hätte ich wohl sie genommen.
Mir dreht sich der Magen um, wenn ich an die Missbrauchsfälle denke, die unter dem Deckmantel der Kirche geschehen sind. Sie sind ein Verbrechen, sind eine Sünde. Aber die katholische Religion lässt sich dafür ganz sicher nicht verantwortlich machen, auch wenn es derzeit versucht wird.
Der Katholizismus ist eine in jeder Hinsicht spannende Religion, das wusste schon Heinrich Heine. Er ist poetisch. Er ist die Religion der Gottsucher und Verdammten, der gefallenen Priester wie bei Graham Greene, der überraschenden Konvertiten wie Huymans, er hat Rituale, gegen deren Geschichtsträchtigkeit alles andere Fahrstuhlmusik ist.

Fülle und Vielfalt des Glaubens

Gerade jetzt, zur Karwoche, ist eine Besinnung auf Rituale angebracht. Sie ist die heiligste und die theatralischste Zeit des Kirchenkalenders. Sie beginnt mit dem Palmsonntag, an dem die Gläubigen grüne Zweige schwenken und blödsinnige, korrumpierbare Jerusalemer sind, also genau die Menge darstellen, durch die der geschundene Erlöser getrieben werden wird.
Sie führt über den Gründonnerstag des letzten Abendmahls ("Einer von euch wird mich verraten") in die Kargheit der Kirche am Freitag. Die Altar-Bilder sind lila verhüllt, das Allerheiligste ist aus dem Tabernakel genommen. Dann die ratlose Stille am Samstag und schließlich die triumphale glockenläutende orgelbrausende Auferstehungsfeier am Ostersonntag.
Was für ein Bogen, welche Geschichte, welche tiefe Vergegenwärtigung! Wie viele Kindheitstage habe ich in diesem Rhythmus aus Entsagung (Fastenzeit) und Erfüllung verbracht
Ich habe eine Ostervigil in Mexiko erlebt, die mit Feuerwerk und Knallfröschen in der Kirche begangen wurde. Einen Himmelfahrtstag in Goa, in dem rund fünfhundert Männer und Frauen vielstimmig Marienlieder sangen. Und ein Krippenspiel in Thailand, in dem Maria einen Sarong trug. Der Katholizismus der Weltkirche mit ihren rund 1,2 Milliarden Mitgliedern ist soviel größer und mächtiger als die paar verbiesterten Leitartikler und einstigen theologischen Konkurrenten bei uns zu Hause, die den Missbrauchsskandal missbrauchen, um den deutschen Papst aufs Korn zu nehmen.

Empörung, die sich auszahlt

Es gibt Kirchenaustritte? Da bin ich sicher. Die katholische Kirche sollte alles unternehmen, um die Missbrauchsfälle aufzudecken und die Unruhe unter den Gläubigen - auch meine - ernst zu nehmen. Und sie tut es. Ansonsten sollte man immer bedenken, dass die Großspurigkeit eines Kirchenaustritts oft mit der kleinkrämerischen Kalkulation von Steuerersparnis einhergeht. Wer einen Kirchenaustritt schon länger vorhatte, der sieht jetzt einen guten Grund.
Ich bin nicht wegen des Papstes in die katholische Kirche eingetreten und würde auch nicht wegen des Papstes austreten. Ich sähe im übrigen auch keine Veranlassung, denn er hat mich in seinen Enzykliken überzeugt und hat auch sonst Mut gezeigt, etwa mit seiner Regensburger Rede an die Adresse des islamischen Fundamentalismus. Womöglich war mir sein Vorgänger, der charismatische Mystiker Papst Johannes Paul II. näher.
Natürlich bin ich empört über die Missbrauchsfälle innerhalb der katholischen Kirche. Genauso empören mich die Missbrauchsfälle in Rudervereinen und Gesangsgruppen und Reformschulen. Werde ich meinem Sohn daher verbieten, zu rudern oder zu singen und an liberalem Unterricht teilzunehmen? Wohl kaum. Werde ich nun den Wetterbericht ignorieren, weil Kachelmann in U-Haft sitzt? Sicher nicht.

Klare Worte vom Heiligen Vater

Die katholische Kirche ist 2000 Jahre alt. Sie ist größer als der einzelne Priester, größer als irgendeiner ihrer Päpste. Sie hat schon schlimmere Stürme überstanden. Ja, sie hat gesündigt, sie hat Verbrecher hervorgebracht. Aber auch Heilige und Helden. Ihre Priester saßen in den Gulags Stalins, in den KZs Hitlers, sie starben in den Lagern Maos und Pol Pots für ihren Glauben. Ich bin stolz, diesem gesinnungsstarken und glaubensfrohen Verein anzugehören, besonders in Zeiten, in denen Grundüberzeugungen gerade bis zur nächsten Frühjahrsmode halten.
Austreten, nur weil sich der Papst nicht entschlossen genug geäußert hätte? Das zumindest ist "bullshit", wie der Papstkritiker Alan Posener in seinen Blogs zu sagen pflegt.
In zahlreichen Erklärungen hat der Papst den Missbrauch verurteilt, hat ihn als "verabscheuungswürdiges Verbrechen" und "schwere Sünde" deklariert (15.Februar 2010). Vergleichbares war von protestantischer Seite nicht zu hören. Der Heilige Vater hat, wie auf seiner USA-Reise 2008, die "tiefen Schmerzen und Leiden" beklagt, die verursacht wurden- hat Missbrauch, wie in seinem jüngsten Hirtenbrief nach Irland, "sündhaft und verbrecherisch" genannt. Was soll er noch tun? Den Sitzriesen, die weiterhin ungerührt über "Kartelle des Schweigens" und die "Täter hinter den Tätern" schwafeln, seine Erklärungen persönlich in den Briefkasten stopfen?
Gerade sein Hirtenbrief zu Irland macht deutlich, wie ernst der Heilige Vater das Problem des Kindesmissbrauchs nimmt. Es sei "weder ein rein irisches, noch ein rein kirchliches", schreibt er. Geht es grundsätzlicher?

Integrität macht Schule

Auch ich bin auf ein katholisches Internat gegangen, auf das Aloisiuskolleg in Bad Godesberg. Glückliche Jugendjahre. Jesuiten haben einen guten Ruf als Pädagogen, in der ganzen Welt, und er ist verdient. Ich habe es genossen, in dieser Gemeinschaft zu lernen, Studienpulte, Silentium von 13 bis 15 Uhr, danach Sport, Sport, Sport. Musisches, Theater, Geschichten erzählen, aus allem wurde eine Art Olympiade gemacht. Die Schlafsäle, die Kissenschlachten. Beim Essen wurde vorgelesen. So lernte ich "Moby Dick" kennen und "Oliver Twist".
Meine Erinnerungen an die Internatszeit sind schön und ungetrübt wie diejenigen, die vor ein paar Wochen der Anwalt und Schriftsteller Ferdinand von Schirach für den SPIEGEL notiert hat. Er war in St. Blasien. Wie er kann auch ich mich nicht an das geringste Vorkommnis erinnern, das einen Verdacht erweckt hätte. Die einzigen homoerotischen Spielereien fanden unter uns statt, da mussten wir uns nicht von irgendwelchen Patres beraten lassen, das kommt alterstypisch.

Wir Katholiken sollten uns nicht von den Hysterikern des Tages überrollen lassen. Die Kirche ist in einer ernsten Krise, das ja, aber nicht jeder Vorwurf ist damit gerechtfertigt.
Nein, ich werde nicht austreten aus der Kirche. Man wechselt seine Religion nicht wie ein Hemd. Right or wrong - it"s my church.

Von Matthias Matussek
("Spiegel-online" vom 27. März 2010)