Impuls vom 17.04.2010

Der Herr am Ufer

Der Herr am Ufer
(zu Johannes 21)

Wenn wir am Ende sind mit unsrer Kraft,
mit unsrer Hoffnung, dass ein neuer Morgen kommt,
wenn wir enttäuscht die Hände sinken lassen
und meinen, alle Mühe war vergebens,
wenn unsre Netze leer sind, leer wie unsre Hände,
dann stehst du, Herr, am Ufer.

Wenn etwas uns gelingt, womit wir nicht gerechnet,
wenn etwas uns geschenkt wird, unverdient,
wenn meine Frau ein treuer Kumpel ist
und wenn die Kinder etwas aus sich machen,
wenn es so viele Gründe gibt zum Danke-Sagen,
dann stehst du, Herr, am Ufer.

Wenn wir an Menschen denken, die der Hunger quält,
denen der Reis fehlt und der Fisch, ihr täglich Brot,
wenn wir an jene denken, die nach Liebe hungern,
nach Anerkennung, Zärtlichkeit, Gerechtigkeit,
wenn wir an unsre eigene unerfüllte Sehnsucht denken,
dann stehst du, Herr, am Ufer.

Wenn uns die Schuld bedrückt, weil wir verleugnet haben
oder verrraten oder einfach nur vergessen,
wenn uns ein Name einfällt, den wir schwer enttäuscht,
den wir zu wenig liebten, dem wir Unrecht taten,
wenn wir uns fragen, ob wir dich wohl lieben, Gott,
dann stehst du, Herr, am Ufer.

Wenn wir zurück an unsre Jugend denken,
an unsre Pläne, die Begeisterung, den Schwung von einst,
wenn wir uns heute sehen und bedenken,
was denn die Früchte sind aus allen diesen Knospen,
wenn wir versuchen, mühsam das zu lernen jetzt:
mich führen zu lassen, wohin ich nicht will,
und trotzdem dieser Führung zu vertrauen,
dann stehst du, Herr, am Ufer.

Wenn wir uns sammeln jetzt um einen schlichten Tisch,
auf dem nichts steht als etwas Brot und Wein,
ein Bissen nur, ein Schluck zum Überleben,
wenn wir alles, was sich angesammelt hat in uns
an Hoffnung und Enttäuschung der vergangnen Woche,
zusammenfassen in die knappe Bitte:
"Herr, bleibe bei uns!" - jetzt in dieser Stunde,
und gleich, wenn wir hinausgehn,
und morgen, wenn der graue Alltag wieder kommt,
dann stehst du, Herr, am Ufer.


(Hermann Josef Coenen)